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schienen sie jetzt mit dem Fortfall ihrer Voraussetzungen erloschen oder kündbar zu sein. Nächst Gott und seinen Heiligen, so liess Karl seinen Unterthanen sagen, ist der Kaiser der Protector und Vertheidiger der Kirchen[1]. Diese Kaiserpflicht bezog sich auch auf die Römische Kirche, auch sie hätte auf Grund der allgemeinen Staatspflicht den Imperator in Anspruch nehmen können[2]. Gleichwohl haben weder die Päpste noch die Karolinger an der Fortdauer der Verträge gezweifelt; das Kaiserreich hatte ihnen nur ihre internationale Natur, aber nicht ihre Geltung genommen. Auch jetzt blieben die früheren Verträge die Grundlage der späteren, neue Bestimmungen bedurften eines neuen Vertrages, bei dem es rechtlich entscheidend war, dass die Form des Vertrages beobachtet wurde, auch wenn der eine Contrahent den anderen zur Abgabe seiner zustimmenden Erklärung thatsächlich genöthigt hatte[3]. Eine einseitige Aenderung des geschriebenen wie des ungeschriebenen Rechts blieb unstatthaft.

Zunächst kam bei dem Schutzvertrage in Frage, wie sich hier Kaiserthum und Dynastie zu einander verhalten würden. Die Vertragspflicht hätte sich auf die Erben des Staates vererbt, während das Kaiserthum vielleicht nur einem von ihnen zu Theil wurde, auf andere Fürsten überging oder zeitweise unbesetzt war. Wie Karl der Grosse sich diese Rechtsfrage beantwortet hat, ist uns unbekannt. Als er im Jahre 806 sein Reich für den Fall seines Todes unter seine drei Söhne vertheilte, gab er ihnen den Schutz der Römischen Kirche auf; jeder einzelne hatte ihn gleichmässig zu leisten, allein oder zusammen mit den Brüdern. Aber derselbe Satz wurde 831 wiederholt, als Lothar I. bereits Kaiser war. 867 gingen zwei Könige, Ludwig und Karl, den Vertrag ein, die Römische Kirche gemeinsam zu vertheidigen, während ihr Neffe Ludwig die Kaiserkrone trug; dem Papst schrieb

  1. Capitularia I, 93, 5.
  2. Vgl. Vita Walae II, 17 SS. II, 563.
  3. Erneuerungen sind ausdrücklich überliefert für 816 Annal. Einhardi 816 SS. I, 203, vgl. Vita Stephani IV. c. 2. – 817 Privilegium Ludwig’s I. Annal. Einhard. 817 SS. I, 203 f. Vita Hludowici c. 27 SS. II, 621. Zeitlich unbestimmt ebd. c. 55 S. 641 und Vita Walae II, 17 SS. II, 563. – 875 De imperatoria potestate SS. III, 722, vgl. Jaffé 3051. – 891 Capitularia II, 125, 6 f. – 898 ebd. c. 3. 6, vgl. die Synode oben S. 22 Anm. 2 und Lapôtre LXI, 465. – 915 Gesta Berengarii IV, 148 f. Vgl. über das Jahr 824 Th. Sickel, Das Privilegium Otto I. S. 160 ff. Vgl. auch oben S. 22 Anm. 1.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br. und Leipzig: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1896, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_037.jpg&oldid=- (Version vom 22.5.2023)