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nur mit vollen Jahren zu thun, auf Monate und Tage wird nirgends Rücksicht genommen[1]. Eine Ausnahme davon machen nur die Regierungen von ganz kurzer Dauer. Die Vergleichung der für diese überlieferten Angaben ergibt dann, dass Regierungen, denen eine einjährige Dauer zugeschrieben wird, über 6 Monate gedauert haben müssen, denn 6 Monate sind die höchste nicht in Jahren ausgedrückte Zahl, die überhaupt vorkommt.

Die einfachste Erklärung dieser Zahlen ist demnach die, dass sie die Zahl der officiellen Regierungsjahre angeben sollen. Die officiellen Regierungsjahre können nun auf verschiedene Weise bezeichnet werden. Am zweckmässigsten, namentlich in äralosen Zeiten und Ländern, ist es, wenn sie auf irgend eine Weise mit dem bürgerlichen Jahre in Beziehung gesetzt werden. Das geschieht am besten so, dass der König das bürgerliche Jahr, in welchem er die Regierung antritt, als sein erstes Regierungsjahr bezeichnet und mit dem nächsten Neujahr sein zweites Regierungsjahr antritt. Das bürgerliche Jahr, in welchem ein König sein letztes Regierungsjahr ansetzt, ist bei diesem System dasselbe Jahr, welches sein Nachfolger als sein erstes Jahr bezeichnet. Dieses System ist für die praktischen Zwecke eines Königs und seiner Unterthanen das einzig brauchbare; es ist ein Unsinn, wenn ein König nach dem letzten Jahre seines Vorgängers datirt und das zweite bürgerliche Jahr, in dem er regiert, als sein erstes Regierungsjahr bezeichnet. Anders liegen die Dinge für die Chronographen, welche nach Königsjahren rechnen; sie können je nach Umständen, da sie immer nach ganzen Jahren rechnen müssen, das letzte Jahr eines Königs ihm oder seinem Nachfolger zuweisen; sie dürfen nicht zwei Könige in dasselbe Jahr setzen. Die Analogie spricht dafür, dass das von uns für das praktischste erklärte System auch von den Israelitischen und Jüdischen Königen befolgt worden ist. Nicht nur haben die meisten Römischen Kaiser so die Jahre ihrer tribunicia potestas gerechnet, sondern auch alle ihre Aegyptischen Königsjahre und, was für uns wichtiger ist, die alten Aegyptischen Könige haben ebenso gerechnet[2].

  1. Die genauen Datirungen für die Belagerung und den Untergang Jerusalems sind anders zu beurtheilen, ebenso wie die Angaben über die Begnadigung Jojachin’s.
  2. Vgl. Gutschmid, Kleine Schriften I S. 246 f.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br. und Leipzig: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1896, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_046.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)