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verlauten zu lassen. – Nur wenn dies geschehen wäre, dann müsste der Historiker Verrath constatiren, auch wenn in dem eigentlich amtlichen Auftrag nichts Anstössiges zu finden wäre. Da nun aber auch in den geheimsten Correspondenzen, die uns doch hier vorliegen, nichts von einem solchen Treubruch zu entdecken ist, so ist er auch nicht vorhanden. Yorke erhielt nach dem Briefe Newcastle’s und nach dem ganzen Ministerialschreiben keinen anderen Auftrag, als jenen, von dem Bute nachher dem Preussischen Könige Kenntniss geben liess.

Doch die Englischen Minister hatten gar nicht die Absicht, für eine Abtretung ganz Schlesiens an Oesterreich einzutreten. Natürlich war es ihnen im Grunde gleichgültig, wem dies Deutsche Land gehörte, es lag ihren Interessen allzufern. Ludwig bedurfte keiner grossen Combinationsgabe oder intimer Verbindungen um das zu entdecken. Aber sie wussten, welchen Widerstand sie Preussischerseits dadurch hervorrufen und welches Odium sie auf sich laden würden. Sie meinten vielmehr, die widerstrebenden Interessen vergleichen und einen Modus finden zu können, bei dem sich beide[1] Theile beruhigen würden, wenn nur erst Unterhandlungen in Gang gesetzt wären. Was speciell für den einen und für den anderen erreicht werden könne, würde sich ja im Verlauf derselben ergeben. In diesem Sinne sind die Aeusserungen Newcastle’s über die Sorge für Preussen und über eine Zufriedenstellung Oesterreichs zu verstehen.

Herzog Ludwig natürlich, dem an der Pacificirung und der Englisch-Oesterreichischen Alliance viel lag, suchte den Wiener Hof durch Betonung der friedlichen Gesinnung England’s und der Aussichten auf Wiedergewinnung Schlesiens zu kirren und mochte umsomehr auf Erfolg rechnen, als die Oesterreichischen Minister glauben konnten, er handle auch hierin im Auftrag Bute’s. Insofern war es unvorsichtig gewesen, Ludwig als Vermittler zu wählen, aber unrecht ist es, seine Aeusserungen den Englischen Ministern aufzubürden, bloss weil sie vielleicht den innersten, ihm gegenüber nicht documentirten, Gedanken eines oder des andern von ihnen nicht sehr fern standen. Wieviel Schändlichkeiten müsste man selbst den grössten Männern zur Last legen, wenn man alle Wünsche und Intentionen, die sie Vertrauten gegenüber gelegentlich bekundeten, vollzogenen Handlungen gleichsetzen wollte. Ob man wohl Friedrich den Grossen des Verrathes schuldig erachten würde, wenn Herzog Ludwig den Franzosen erzählt hätte, der König würde gegen eine Abtretung Canadas an Frankreich nichts einzuwenden haben? Und das wäre vielleicht die Wahrheit gewesen.

  1. Siehe Diss. S. 15.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_162.jpg&oldid=- (Version vom 25.5.2023)