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genannten Parthien wird man wohl mit mehr Recht darauf zurückführen, dass der Verfasser sie speciell in einem Lehrbuch für entbehrlich erachtete – ein Standpunkt, der freilich nicht allgemeine Billigung finden dürfte.

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Dafür bietet aber das neue Buch andererseits eben mit Rücksicht auf seine praktischen Zwecke auch wieder vieles – manche werden finden, zu viel –, was streng genommen nicht zur Diplomatik gehört. Der Leser stösst auf ausreichende bibliographische Zusammenstellungen, für die er gewiss dankbar ist, die er aber hier nicht erwartet, dann, sofort nach den einleitenden Capiteln über Gegenstand und Geschichte der Diplomatik, auf eine vollständige Chronologie, und in dem folgenden Abschnitt, der betitelt ist „Éléments critiques de la tenue des chartes“ auf mehr als 100 Seiten, die sich über Titel, Personennamen, Ortsnamen, topographische Bezeichnungen, Maasse und Gewichte, Münzwesen etc. verbreiten; die Paläographie ist demgegenüber auffallend kurz behandelt, wohl mit Rücksicht auf das 1890 erschienene Manuel von Prou. Jene mehr oder minder aus dem eigentlichen Rahmen herausfallenden Zuthaten enthalten nun auch eine Anzahl von Tabellen und Registern, nämlich 1. auf p. 177–314 sämmtliche für Datumreductionen nöthigen Tafeln und Calendarien einschliesslich eines Glossars und eines Heiligenverzeichnisses; 2. auf p. 406–412 ein Verzeichnis von Orten, die ihren Namen vollständig geändert haben; 3. auf p. 413–420 eine Bibliographie von Ortslexicis und anderen geographischen Hilfsmitteln; 4. auf p. 428–430 eine Uebersicht über numismat. Nachschlagewerke.

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Die Frage ist nur, ob hiedurch specielle Hilfsmittel wirklich entbehrlich gemacht werden. Verneint man diese Frage – und wir können sie bei näherer Betrachtung unmöglich bejahen –, so tritt augenblicklich die drohende Gefahr deutlich hervor, dass der ungeschulte Benützer das Unvollständige für das Vollständige, das Falsche und Halbwahre für das Richtige nimmt und damit unverlässige Ergebnisse erzielt werden. Das Heiligenverzeichniss leidet z. B. unter der beabsichtigten Kürze in der Weise, dass nicht angegeben wird, welches Datum gemeint ist, wenn ein mehrfach vorkommender Name ohne näheren Beisatz vorkommt; unter den geographischen Hilfsmitteln dürfte des alten Büsching Erdbeschreibung auch heute noch nicht fehlen u. s. f. Wenn aber diese Bestandtheile bleiben sollen, so wäre erstlich eine Vereinfachung der Calendarien anzustreben (so dass man bei beweglichen Festen nicht neben dem Osterdatum auch noch den Sonntagsbuchstaben zu behalten brauchte) und ferner mögen die doch zur Erhöhung der Bequemlichkeit beigegebenen Register und Tabellen dahin verlegt werden, wo man sie wirklich bequem zur Hand hat und nicht lange zu suchen braucht: an den Schluss. Zur Zeit findet man dort (p. 893–944) bereits zwei sehr dankenswerthe Beigaben: einen bibliographischen und einen Sachindex.

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Für den Deutschen oder überhaupt den nicht-Französischen Benützer hat Giry’s Manuel einen grossen Nachtheil. Mit gutem Grund hat Bresslau sein Handbuch der Urkundenlehre auf dem Titelblatt auf Deutschland und Italien beschränkt, ohne dabei auf gelegentliche Seitenblicke nach anderen Ländern zu verzichten. Indem Giry sein Buch ganz allgemein Manuel de diplomatique nennt, übernimmt er eine von vornherein unerfüllbare Verpflichtung.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_376.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2023)