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Parteien ging. Im Januar 1875 als Director der Preuss. Staatsarchive nach Berlin berufen, erleichterte er Zutritt und Benutzung der Preuss. Archive, rief die Publicationen aus den Preuss. Staatsarchiven ins Leben und nahm in der Akademie der Wissenschaften, als eines der einflussreichsten Mitglieder der philosoph.-histor. Classe, Theil an deren Arbeiten: an der Herausgabe der Polit. Correspondenz Friedrich’s des Grossen und der Acta Borussica und in den letzten Jahren noch ganz hervorragend an der Begründung und Leitung des Preuss. Histor. Instituts in Rom. Seine literarische Thätigkeit, die sich noch in einer grossen Anzahl von Aufsätzen u. s. w. geäussert hatte, auch zur mittelalterlichen Quellenforschung (z. B. zur Frage der Karolingischen Annalen) gelegentlich zurückgekehrt war, schloss ab mit einem zweiten grossen Werke, der „Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I.“, von der zunächst (1889) 5 Bände, die bis 1867 reichen, erschienen, dann noch ein 6. u. 7. (1894), die bis zum Ausbruch des 1870er Krieges führen, während der 8., der den Abschluss bringen sollte, nicht mehr geschrieben wurde. Bekannt ist, dass Sybel für sein Werk anfänglich das Archiv des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten benutzen durfte und dass ihm bald nach Bismarcks Sturz diese Erlaubniss entzogen wurde. Vor einigen Jahren wurde er zum Wirkl. Geh.-Rath mit dem Titel Excellenz ernannt.

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Heinr. v. Sybel war eine aussergewöhnliche Erscheinung in unserer Deutschen Gelehrtenwelt; man hatte beim Verkehr mit ihm sofort die Empfindung, einer geistig bedeutenden Persönlichkeit gegenüber zu stehen, geistig bedeutend aber nicht nur durch Begabung für ein abgegrenztes Gebiet wissenschaftlicher Forschung, sondern durch das Talent, Menschen zu behandeln und nach seinen Intentionen, wenn auch widerstrebend, zu lenken; bedeutend auch durch kluge Lebenserfahrung und weltmännische Gewandtheit. Wenn er de rebus historicis seine Auffassung entwickelte oder de rebus gestis erzählte oder Erwägungen de rebus gerendis anstellte: stets hatte man den Eindruck, zugleich einen bedeutenden Gelehrten, einen lebensklugen Beobachter und einen vornehm gewöhnten Weltmann, den seine geistige Bedeutung aber über das Abgeschmackte „guter Formen“ hinaus hob, vor sich zu haben: eine seltene Vereinigung bei uns in Deutschland, wo die Gelehrsamkeit meist recht bäuerlich oder spiessbürgerlich auftritt oder (noch schlimmer) mit missverstandener Tournure, während die sogen. „Gesellschaft“ meist ohne Fühlung mit tiefer gehenden Bildungsinteressen bleibt. Sybel bewegte sich mit erstaunlicher Sicherheit in dem Gestrüpp verworrener wissenschaftlicher Probleme und des Lebens. Ganz ausserordentlich war sein Talent, schwierige Fragen rasch zu erfassen und deren Entscheidung nach seinem Willen in eine bestimmte Richtung zu lenken, ganz ausserordentlich war, bis in seine letzten Jahre, die Arbeitskraft, mit der er die verschiedensten Obliegenheiten neben einander erfüllte, musterhaft die Klarheit und Einfachheit, mit der er disponrirte. Man konnte als Jüngerer nur immer staunend vor dieser Leistungsfähigkeit des Siebzigers stehen; und der Mann des „Wenn“ und „Aber“ konnte immer wieder von ihm lernen, wie man sich praktisch und elegant mit schwierigen Situationen abfindet. Dabei war nun freilich auch wieder ein „Wenn und Aber“.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1895, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_387.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2023)