Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses. | |
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Schritte hörbar, aber es war nicht der Aufseher, sondern das junge Mädchen, das ziemlich verlegen hereinkam und meldete, die Eltern seien nicht zu Hause, und der Aufseher sei zum Essenholen fortgefahren. Aber sie könne ja dem Herrn Doktor die Türe aufschließen. Das tat sie und kam dann langsam wieder die Treppe herauf. Vor dem Besuchszimmer stand ich und wartete.
„Können Sie mir auch meine Zelle aufmachen, Fräulein?“
Nein, das könne sie nicht, sie habe keinen Schlüssel.
„Wie wäre es denn, wenn Sie mir unten die Haustüre aufschlössen, dazu haben Sie ja den Schlüssel.“
Etwas bange sah sie mir in die Augen, wie wenn sie nicht recht wüßte, ob es mir Ernst sei oder Scherz. Dann lächelte sie und meinte, sie würde das ja ganz gern tun, aber es ginge doch nicht, und es hätte ja auch keinen Zweck, da ich in einigen Tagen sowieso frei sein würde.
„So glauben Sie, daß man mich nicht verurteilen wird?“
„Sicher nicht. Sie sind doch unschuldig. Sie haben doch Ihre Schwiegermutter nicht ermordet, davon bin ich fest überzeugt.“
Der Blick, den sie mir dabei zuwarf, berührte mich ganz eigen, ich dankte ihr für die gute Meinung, die sie von mir habe, und sagte, ich wolle das als ein freundliches Omen betrachten.
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/110&oldid=- (Version vom 31.7.2018)