Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses. | |
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wesentlichen nur mehr die amerikanischen Zeugenaussagen zur Verlesung zu bringen, die für mich sehr günstig lauteten. Da trat ein unvorhergesehener Zwischenfall ein.
Ein Karlsruher Rechtsanwalt meldete sich zum Wort und brachte folgendes vor. „Ein Klient von mir, sächsischer Referendar und zurzeit Kunstschüler an der hiesigen Akademie, den ich unlängst vor dem Schöffengericht in einer Bagatellsache, die mit einem Freispruch endigte, verteidigt habe, ist zu mir gekommen und hat mir eine Mitteilung gemacht, die ich mich verpflichtet fühle dem Gericht zur Kenntnis zu bringen. Der Referendar ist im Untersuchungsgefängnis Zellengenosse des gegenwärtig Angeklagten gewesen und mit ihm ziemlich intim geworden; dabei hat er die Überzeugung gewonnen, daß derselbe wichtige und für die Beurteilung des Falles entscheidende Fakte geheimhalte, glaubt auch zu wissen, welcher Art diese sind. Gestern nun suchte er mich auf und stellte mir die Frage, wie ich über den mutmaßlichen Ausgang des jetzt im Gange befindlichen Sensationsprozesses dächte, für den er sich ganz besonders interessiere. Ich hielt nicht zurück mit meiner Meinung, daß eine Verurteilung höchstwahrscheinlich sei. Das sei auch seine Meinung, sagte er, und er halte es für ein großes Unglück, denn er sei überzeugt von der Unschuld des Angeklagten. Davon seien noch mehr Leute überzeugt, entgegnete ich ihm, aber, worauf es ankomme, das sei die Überzeugung der Geschworenen, und die scheine, nach allem, was ich gehört, nach der anderen Seite zu neigen; wenn ihm also etwas bekannt sei, was zu Gunsten des Angeklagten spreche, so sei es Zeit, damit herauszurücken. Ja, das sehe er ein, aber er habe dem Angeklagten sein Wort gegeben, das in Erfahrung Gebrachte für sich zu behalten. Worauf ich ihm erklärte, die Pflicht, in einer Sache, wo das Leben eines Menschen auf dem Spiele stehe, zur Feststellung der Wahrheit beizutragen und ein Fehlurteil zu verhüten, sei gebieterischer als die Pflicht, ein solches Versprechen zu halten. Halb und halb gab er das zu; sagte aber, er wolle zuerst versuchen, sich mit der Familie Molitor in Verbindung zu
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/127&oldid=- (Version vom 31.7.2018)