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Seite:De Das Todesurteil (Hau).djvu/59

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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

Ein noch verhältnismäßig junger Assistent des Bezirksarztes, wohlbeleibt und jovial, mit einer Vertrauen erweckenden roten Nase. Er kam mir freundlich entgegen, was ich als eine angenehme Abwechslung dankbar zu schätzen wußte. Von ganz anderem Schrot und Korn war sein Chef, der Herr Medizinalrat, der in der Hauptverhandlung als Gutachter über meinen Geisteszustand eine bedeutende Rolle spielte. Zwecks Abfassung seines Gutachtens hat er mich zweimal besucht, das erstemal in meiner Zelle. Auf dem Tisch lag gerade ein neuer Band von Wells: Anticipations. Er nahm das Buch in die Hand, beschaute es tiefsinnig und sagte: „Anticipations, das ist ja wohl Englisch, wie würden Sie das ins Deutsche übersetzen?“ Überrascht über diese Frage, erwiderte ich ihm, das Wort antizipieren werde ja auch bei uns als Fremdwort gebraucht im gleichen Sinne, den es im Englischen habe. „Nun ja,“ beharrte er, „antizipieren, das sagt man bei uns auch, aber was bedeutet es?“ Das war mir denn doch zu arg; ich lehnte ab, mich von ihm in dieser Weise examinieren zu lassen. Er nickte verständnisvoll und machte mit einem Bleistiftstummel eine Eintragung in das schmierige schwarze Notizbuch, das er zwischen den Fingern hielt. Weiß der Teufel, was er da hineingeschrieben hat, es lag mir auf der Zunge, ihn zu fragen. Darauf schaute er mir unter die Augendeckel, klopfte mit der flachen Hand gegen mein Knie, und was dergleichen Mätzchen mehr sind, immer fleißig Notizen machend. Die Komödie wurde unterbrochen durch einen Aufseher, der den Herrn Medizinalrat ans Telephon rief, von wo er nicht mehr zurückkehrte. Einige Zeit nachher folgte die Fortsetzung, diesmal in dem kleinen Zimmer des Oberaufsehers, in das ich hinuntergeholt wurde, wahrscheinlich damit der alte Herr sich nicht durch Treppensteigen zu echauffieren brauchte. Er saß da am Tisch, mit dem bewußten Notizbuch bewaffnet, das inzwischen womöglich noch schmutziger, und dem Bleistiftstummel, der inzwischen noch kürzer geworden war, und erfüllte das Lokal

Empfohlene Zitierweise:
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/59&oldid=- (Version vom 31.7.2018)