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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

für sehr wahrscheinlich halte. Darauf antwortete sie, sobald das Gutachten vorliege, werde sie kommen. Ich bin sicher, daß eine mündliche Rücksprache vieles klären würde. Vor allem möchte ich von ihr Genaueres in Erfahrung bringen über die Vorgänge in Paris und über die vorhergegangenen zwei Wochen Ihres Aufenthalts in Baden-Baden. Wie kamen sie eigentlich dazu, Ihre Schwägerin mit nach Paris zu nehmen?“

„Eh nun, meine Frau hat sie eingeladen. Da ist doch nichts Befremdliches dabei. Übrigens sehe ich nicht ein, was diese Familienangelegenheiten mit meinem Prozeß zu tun haben. Es wäre mir lieb, Herr Doktor, wenn Sie Ihre Tätigkeit auf ein anderes Feld verlegten.“

Ärgerlich schaute er mich an. Ein widerwärtiger Klient! Wie oft mag er schon versucht gewesen sein, mir sein Mandat vor die Füße zu werfen. Seiner damaligen Überzeugung nach wäre es für mich das einzig Richtige gewesen, mich aufzuhängen. Nicht ohne Hintergedanken mochte er mir die Geschichte eines hessischen Oberlandesgerichtsrats erzählt haben, der vor kurzem, wegen Sittlichkeitsverbrechens angeklagt und schwer belastet, sich der öffentlichen Verhandlung durch Selbstmord entzogen hatte. – – –

Ich war froh, als mein Aufenthalt in der Klinik sich seinem Ende näherte. Ging es mir auch, äußerlich betrachtet, ziemlich gut, so wurde mir doch das Beisammensein mit den Geisteskranken immer unerträglicher. Ich glaube, ich wäre mit der Zeit selber krank geworden.

Inzwischen war der Frühling ins Land gekommen. Die Obstbäume jenseits der Mauer standen in Weiß und Rosa. Wenn ich von meinem Fenster aus die festtäglich geputzten Menschen vorüberspazieren sah, tat mir das Herz weh. Bisweilen kam mir der Gedanke: Dies ist der letzte Frühling, den du erleben wirst.

An den Ostertagen hatte Michel eine Radtour gemacht in den Schwarzwald, durch das Höllental nach Titisee, auf den Feldberg und weiter. Er konnte nicht fertig werden mit Erzählen. Wir saßen

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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/82&oldid=- (Version vom 31.7.2018)