Seite:De Deutsche Hausmärchen 148.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Als sie nun sah, daß Alles vergebens war, da faßte sie einen Haß auf ihn, der war eben so groß und noch größer, als ihre Liebe gewesen war. Sie ließ sich aber nichts merken und that so freundlich, wie zuvor, sprach, sie habe seine Tugend nur auf die Probe stellen wollen.

Nachdem sie nun ausgeruht hatten, gingen sie zusammen weiter in dem Walde bis gegen Abend; da öffnete sich der Forst und sie sahen in der Ferne ein hohes, schönes Schloß liegen. Der Prinz sprach: „Liebe Mutter, bleibe du hier zurück, ich will zuerst in das Schloß gehn und sehen, wer da wohnt; wenn es kein Räuberhaus ist, dann hole ich dich bald wieder ab.“ Sie war damit zufrieden und er ging hin. Die Thore standen offen, er kam in den Hof und in die Zimmer, aber alle Leute, welche er sah, lagen im tiefsten Schlaf, die Bedienten und die Kammerjungfern, Koch und Köchin, Stallknecht und Viehmagd. Nachdem er fast das ganze Schloß durchwandert hatte, kam er zuletzt in einen hohen und herrlichen Saal, darin stand in der Mitte ein runder goldner Tisch und auf dem Tische lag ein weißes Hemd und ein goldner Ring. Rund um den Tisch lief aber eine silberne Schrift, welche hieß: „Wer dieses Hemd anzieht, der kann das Schwert an der Wand regieren. Wer diesen Ring in den Mund nimmt, versteht die Sprache der Vögel.“ Er schaute auf, da sah er an der Wand ein mächtiges, breites Schwert und da er in den Waffen sehr geübt war, wollte er es nehmen und ein paar Kreuzhiebe durch die Luft machen, aber er konnte es nicht einmal heben und vom Nagel langen. Da zog er das weiße Hemd an

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen und Leipzig 1851, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Deutsche_Hausm%C3%A4rchen_148.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)