unbekannt, Adolf Böttger (Übersetzer): Die blutige Rache einer jungen Frau | |
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Es war wohl wieder über ein halbes Jahr vergangen, und die Poesieen, die sie mit einander wechselten, waren während der Zeit so zahlreich geworden, dass es durchaus unmöglich ist, sie alle hier aufzuführen.
Eines Tages, als Tingchang zufällig in der Peking-Zeitung blätterte, las er, dass sein Vater, dem das Klima von Go-mee nicht zusagte, dem Kaiser sein Unwohlsein gemeldet und um Erlaubniss gebeten hatte, in seine Heimath zurückzukehren. Tingchang war lange Zeit nicht in seine Heimath gekommen; – einerseits stachelte ihn die grösste Sehnsucht, seine Eltern noch einmal zu sehen, auf der andern Seite hielt ihn die feste Liebe für Lẅan an dem Orte, wo er lebte und er konnte kaum dem Gedanken Raum geben, sich von ihr getrennt zu wissen. So quälte er sich in diesen Zweifeln, welchem Wunsch er folgen solle von Tag zu Tage, und die Zeichen des Grames lagen nur zu deutlich in seinem ganzen Wesen. Lẅan forschte und drang in ihn, bis sie endlich die Ursache seines Kummers entdeckte, und, als sie gerade Wein ihm vorsetzte, mit folgenden Worten sich zu ihm wandte: „Die Liebe des Mannes und Weibes ist tief, wie die See und das Meer, aber der hohe Himmel selbst kann nicht mit dem Bande der angeborenen Liebe verglichen werden, die Vater und Sohn vereinigt. Wenn Du, nach einem heimlichen Liebesverhältniss lüstern, die ernstern Pflichten, welche Du Deinen Eltern schuldest, vernachlässigen solltest, würdest Du dadurch nicht nur gegen das Gefühl verstossen, welches Dich als Sohn leiten soll, sondern Du würdest mich auch veranlassen, zu vergessen, was ich Dir als Weib
unbekannt, Adolf Böttger (Übersetzer): Die blutige Rache einer jungen Frau. Wilhelm Jurany, Leipzig 1847, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_blutige_Rache_einer_jungen_Frau.djvu/046&oldid=- (Version vom 31.7.2018)