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eine Enttäuschung. Schon um Innsbruck stehen ja die erhabensten Bergfirsten, im Oberinnthal bei Imst, bei Landeck fließt der Strom immer in gigantischem Gebirge; gegen das Stanserthal hin steigern sich die Eindrücke, und doch ist’s noch eine Tagreise bis in den innersten Winkel von Paznaun, um welchen die Mappierer einen blauen Reif von Eisbergen gemalt haben. Geht nun das Wesen in zunehmender Progression so fort, so müssen dahinten, wie man sich leichtlich einbildet, die rhätischen Chimborassos stehen mit ihren nickenden Kuppen, und Niagarafälle stürzen durch den Urwald und die Gletscher steigen unaufhaltsam hernieder und schauen bis in die Kellerlöcher der Alpenhäuser. Es hat aber hier und auch gar häufig anderswo gerade das umgekehrte Aussehen. In den Tiefen des Hochgebirges liegen nicht selten ganz prunklose Alpenthäler und die kolossalste Landschaft, die prächtigsten Staffeleibilder finden sich dafür an der Poststraße. Wo die Krone schauerlicher Erhabenheit, das Letzte und Unübertrefflichste wilder Schönheit erwartet wird, da thut sich ein grüner Wiesenplan auf mit einem stillen Alpendörfchen in der scheinbar mildesten Umgebung. Etwas anderes ist’s freilich, wenn man in dieser abgelegenen Welt auf die Höhen klimmt. Dann kommt allerdings bald der Gletscherkranz zum Auftauchen, und wenn man unten in der geräumigen Wiese, das Dörfchen vor Augen, sich denkt: das ist die Gegend von Galthür und weiter gehört nichts dazu, so sieht man oben erst die breiten Berghänge, die weiten Almen, die langen Wälder, die schrecklichen Schrofen, die ungeheuern Schneefelder und die meilenlangen Ferner. Blickt man dann hinunter in die Au, auf die farbigen Häuserpünktchen und den dünnen Wasserfaden, dann scheint das ganze Thälchen nicht viel mehr als ein bemooster Spalt im Gestein oder ein grünbewachsener Riß im Felsen.

Von Galthür bis Ischgl, dem Hauptorte des Thales, ist nicht viel zu sehen. Die Landschaft behält die gleiche Einfalt und Schmucklosigkeit, die sehr auffallend absticht von der bunten, wechselreichen Fülle des Montavons. Die Trisanna fließt fast schnurgerade dahin, und so sieht man weit entlang an den Bergen, wie an einer pfeilrechten Zierallee. Die

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_139.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)