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die über dem großen Portale steht. Hinten in dem Schiffe zur rechten Hand ist ein gothischer Altar aus gleicher Zeit und daneben das Grabmal des edlen und gestrengen Oswald von Schrofenstein, der viel gethan zum Bau der jetzigen Kirche und gestorben ist 1497. Er führte einen Steinbock im Wappen, bei dem ältern alpinischen Adel ein vielbeliebtes Abzeichen. Auch im Chore der Kirche ist ein Denkschild, der jenes Ritters Gedächtniß bewahrt. Ein früherer dieses Geschlechts fiel mit Herzog Leopold bei Sempach. Schrofenstein, die Burg, liegt von Landeck aus zu sehen, auf dem andern Ufer des Inns im Bergwalde, schmales, thurmartiges Gemäuer von gelblicher Farbe, scheinbar an den Schrofen hingelehnt, in Wirklichkeit aber auf einer freistehenden Felsenstufe. Es ist schwer hinauf zu klettern; manche unternehmen aber das Wagniß dennoch, gelockt von dem vierhundertjährigen Wein, der nach der Sage noch immer im Burgkeller geschenkt wird, obgleich ihn nach Staffler die Bayern schon vor dreißig Jahren ausgetrunken. Uebrigens ist es auch der Mühe werth, der Schönschau willen hinzugehen.

Vor die Kirche zu Landeck, unter der Linde, die ehemals stand, verlegt die Ueberlieferung eine schöne Begebenheit. Herzog Friedrich nämlich, mit der leeren Tasche, war in Reichsacht von Constanz entronnen und, wie wir andern Orts erzählt, über Bludenz und den Arlberg nach dem getreuen Land Tirol gegangen. Weil aber der feindliche Bruder, Herzog Ernst, im Lande lag und Prälaten und Ritter zu ihm standen, so hielt sich Friedrich verborgen und nahm sein Versteck bei Hans von Müllinen auf der Burg Berneck im Kaunserthale und dann bei etlichen vertrauten Bauern in den Hochthälern. Aus einem solchen Orte kam er nun einmal nach Landeck herab, um die Stimmung des Volkes zu versuchen. Im Dorfe wurde damals zur Feier der Kirchweihe ein bäuerliches Reimspiel aufgeführt. Der Herzog ging als Pilgram verkleidet, selbst unter die Gaukler und sang den Landleuten im Schatten der grünen Linde eine Geschichte vor, wie ein ehrenhafter, fürstlicher Herr, der es zu allen Zeiten mit den Bauern gehalten, in Widerniß und Fehde hart bedrängt, seine Herrschaft verloren habe und als

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_212.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2019)