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zu seyn, der die Gebirge und die Gletscher ringsherum alle bestiegen. Er hatte von Jugend auf seine Herzensfreude an den feierlichen Fernern und kletterte vordem mit seiner Büchse allein auf die Hörner, neugierig was da für eine Aussicht, oder nach seinen Worten: für eine „Einsicht zu fassen“ sey. Er ist daher gewiß der verlässigste Führer im Vender Thal, und geht von da aus überall mit, wohin man immer will, über den kleinen Oetzthaler Ferner und das Niederjoch oder über das Hochjoch nach Schnals, an der Wildspitz vorbei ins Pitzthal, über den Gebatschferner ins Kaunserthal oder links hinüber nach Langtaufers und ins obere Vintschgau. Da, auf letzterer Fahrt, beträgt der Gang über das Eis indessen mehrere Stunden, und dieser hatte in seiner Gefährlichkeit selbst den kecken Alpensohn etwas verdutzt gemacht. Vor kurzem waren nämlich Bergsteiger aus Albion da gewesen und hatten ihn aufgenommen sie nach Langtaufers zu führen. Als sie eine gute Weile auf dem Eise fortgegangen, wurde aber der Ferner durch Klüfte, Brüche und Schrunden so unwegsam daß gar kein Mittel mehr schien weiter zu kommen. Nicodemus schlug vor zurückzugehen; die Engländer aber wollten ihre Mühe nicht verloren haben und forderten ihn gebieterisch auf sie weiter zu geleiten. Nun gelangen zwar noch einige Uebergänge, aber an einem breiten und tiefen Gletscherspalt fiel der eine der fremden Reisenden und glischte hinunter, so daß ihn Nicodemus nur noch beim Schopfe zurückziehen konnte. Als er so vom Tode gerettet war, besah er sich von oben bis unten, sagte lachend: das war gut – und nun hatte keiner mehr etwas gegen die Umkehr einzuwenden. Nicodemus aber hatte sich das zur Warnung dienen lassen und wollte Niemand mehr nach Langtaufers führen, ehe denn er einmal wieder nachgesehen, ob sich nicht das Eis gewendet habe und der Ferner neuerdings gangbar sey.

Wir ließen also die Rofnerhöfe rechts liegen und gingen links ins Niederthal ein und darin fort, einen öden, gar nicht kurzweiligen Weg, der oft von Fernerbächen durchschnitten ist, über welche wir nicht immer ungenetzt kamen. Außerdem war aber weder Gefahr noch Unbequemlichkeit, denn der Steig ging

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: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_243.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)