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Dasselbe was J. Steiner, der Pfleger von Castelruth, für die Sprache seiner ladinischen Gerichtsholden gethan, unternahm später J. Th. Haller, der gewesene Landrichter zu St. Vigil, für das Idiom der Enneberger. Seine lehrreiche, obgleich ohne tiefere linguistische Einsicht geschriebene Arbeit findet sich im sechsten und siebenten Band der Beiträge zur Geschichte, Statistik, Naturkunde und Kunst von Tirol und Vorarlberg. Der Landrichter von Enneberg verfolgt die Bahn des Pflegers von Castelruth; er findet in der Abschleifung der ladinischen Mundarten das Anzeichen eines uralten Ursprungs, glaubt daß die Enneberger und Grödner, als rhätischer Herkunft und Stammgenossenschaft, sich einer Sprache zu rühmen haben, die im Wesentlichen die Sprache ihrer Urväter, der alten Rhätier, tusko-tyrrhenischen Stammes seyn und im Alterthum vor allen Sprachen lateinischen Ursprungs den Vorzug gehabt haben dürfte.

Uebrigens muß hier erwähnt werden, daß der Wahn, die alte Sprache der Tusker lebe noch im rhätischen Hochgebirge, von Graubünden ausging. Die alte Geschichte vom Heerführer Rhätus, die bei Plinius zu lesen, wie derselbe nämlich, als die Gallier in Italien einfielen, mit den Etruskern, welche an den Ufern des Padus wohnten, flüchtig in die Alpen gezogen und so dem rhätischen Volke zu einem Anfange verholfen, diese Geschichte hat in Hohen Rhätien eine freundliche Aufnahme und fruchtbaren Boden gefunden und war dort zu jeder Zeit weit volksthümlicher als in Tirol. Viele bündnerische Adelsgeschlechter versahen sich mit Stammbäumen, die in ununterbrochener Folge auf einen etruskischen Lucumo zurückgingen; man suchte die Orte aus, die mit etrurischen Städten dem Laute nach verschwistert schienen, nannte das Idiom, das die Romanschen reden, l’ antiquissm linguaig de l’ aulta Rhaetia. hielt dieß für dieselbe Sprache, worin der tuscische Augur den Flug der Vögel deutete und „die Welt von Rom Gesetze empfing.“ Derlei Ansichten ließen denn auch ernsthafte Historiker gelten und viele Zweifler mag es seiner Zeit beschwichtigt haben, als sogar Johannes von Müller offen aussprach: die Nachkommen der Rhätier erhalten seit

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_442.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)