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Während wir da so herumkletterten, fielen uns zwei versprengte Fräulein in die Hände. Sie schienen zu der Herrschaft zu gehören, die Nachmittags vor dem Hacklthurm angefahren war, und man kann nicht gut stehen, ob es nicht gar die Kammerjungfern gewesen. Sie waren von Wien und liebenswürdig, machten dem Curaten wenig Mühe und dies Bischen haben sie süß vergolten. Er zeigte ihnen die Kirche und sie ahmten ein Erstaunen nach, als wenn sie zum erstenmale in St. Peters Dom zu Rom einträten. Die eine der Damen stand voll Entzücken vor einem geschundenen Bartholomäus, den ein unbekannter Bauernmaler angefertigt und betheuerte, der Eindruck werde ihr nimmermehr vergehen. Die andere fand den Rococoplafond der schnörkelreichen Dorfkirche völlig unvergleichlich. Ach, diese Verzierung, lispelte sie, ganz im allerneuesten Geschmacke! Und doch, fügte ich hinzu, und doch von einem längst dahingegangenen Künstler geformt, aber in der Ahnung, daß das Ewigschöne immer wieder Anerkennung finde. O ich bitte, entgegnete das Mädchen und schlug erröthend die Augen nieder. Alles was zu sehen war, der Altar, die Leuchter, die Fahnen und eine Menge anderer Dinge wurden für ganz superbe erklärt, und als man hinaus ging, um die Aussicht zu betrachten, brach die „Passion" von neuem aus und riß selbst den Kältern mit ins Gefühl hinein. Ja, sagten sie beim Abschied, dieser Abend und Ihre werthesten Persönlichkeiten werden uns unvergeßlich bleiben. Ich habe mich bedankt dafür, aber der Curat wußte kaum mehr was er sagen sollte, so sehr hatte ihn der Enthusiasmus der beiden Damen alterirt. Er schlug mir darauf vor, mit ihm ins Wirthshaus zu gehen, wo er sich wieder erholen wollte.

Abends erzählte mir Joseph Rainer, der Wirth im Hacklthurm, von seinen und seiner Geschwister kleinen Anfängen und spätern Großthaten; wie er selbst, ein unbekannter Viehhändler, der viel in Mecklenburg und Preußen verkehrt, zu Leipzig eine Ankündigung gelesen, die vier singende Tiroler-Kinder verheißen hatte, während diese doch nur vier tirolisch gebildete Jungen unbekannter Herkunft waren; wie er sich des Beifalls, den sie trotz ihrer schlechten Kunst gefunden, entsetzt

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_548.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)