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der sein „Mannequin“ mit Adlerblick durchschaute und der seine Aussprüche über ihn mit voller Zustimmung geben könnte, wenn er weniger Hohn und mehr Schonung zeigte gegen die treuen Manen des ehrlichen Passeyrers.

Derartige Betrachtungen werden sich dem ergeben, der über Gegenwart und Vergangenheit beim tirolischen Landvolke die Stimmen sammelt. Die Ansicht der Städter ist anders gefärbt, aber dem Inhalte nach nicht sehr abweichend. Die gebildeten Stände, zumal der Adel, und das Landvolk befinden sich seit Jahrhunderten in einer Spannung, die allerdings in langen Friedensjahren, wenn die Anregung fehlt, nahezu einschlummert, aber bei günstiger Gelegenheit, zuvörderst wenn der Feind im Lande steht, schnell wieder hervortritt. Dann ergibt es sich, daß der Bauer nicht abgeneigt ist, den „Herrn“ für wenig ehrlich zu halten, daß er ihm vorwirft, er sey unfähig etwas zu wagen, zu furchtsam um sich auszusetzen, zu friedliebend um den Krieg zu wollen, oder am Ende auch, er halte es heimlich mit dem Feinde. Es bedarf keiner sehr angesehenen Autorität, um den Landmann argwöhnisch zu machen, und ist er’s einmal, so erschallt aus tausend Kehlen der Ruf: „Herrn derschießen, Herrn derschlagen.“ – So zerrissen im Jahre 1703 die Rittner Bauern wegen geringen Anlasses ihren Pfleger Georg Plankenstein, so schrien dazumal die Algunder, ehe man ausziehe, müsse man etlichen Herren die Häuser über dem Kopf zusammenbrennen, und als ein Opfer solcher Volkswuth fiel damals nicht minder Vigil von Hohenhausen, der Oberstwachtmeister der Landmiliz im Burggrafenamt. Auch seinem Tod war der Ruf vorausgegangen: Ihr Herren seyd alle Schelme. Als im Jahre 1762 die aberwitzigste Ausführung neuer Münzverordnungen das Burggrafenamt und das Vintschgau in einen denkwürdigen Bauernrummel versetzt hatte, hieß es abermals: Nieder mit den Stiefelherren! und die racheseligen Bauern kümmerten sich wenig, ob sie den rechten träfen. So hat auch in den Neunziger Jahren der Kreishauptmann in Vorarlberg unter den Händen der Montavoner sein Leben gelassen. Das große Jahr von Anno Neune blieb frei von diesen Gräueln, aber

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_637.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)