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zu der Brücke über einen Bach kamen, ließ der älteste den jüngsten vorangehen und mitten drauf gab er ihm einen Schlag, daß er todt hinabstürzte. Dann begrub er ihn unter der Brücke, nahm das Schwein und brachte es vor den König, mit dem Vorgeben, er habe es getödtet, und erhielt darauf die Tochter des Königs zur Gemahlin. Als der jüngste Bruder nicht wiederkommen wollte, sagte er: „das Schwein wird ihm den Leib aufgerissen haben.“ Und das glaubte jedermann.

Weil aber vor Gott nichts verborgen bleibt, so sollte auch diese schwarze That an des Tages Licht kommen. Nach langen Jahren trieb ein Hirt seine Heerde über die Brücke, und sah unten im Sande ein schneeweißes Knöchlein liegen und dachte, das gäbe ein gutes Mundstück. Da stieg er hinab, hob es auf und schnitzte ein Mundstück für sein Horn daraus, und als er es zum erstenmal ansetzen und darauf blasen wollte, so fing das Knöchlein an, von selbst zu singen:

„Ach, du liebes Hirtelein,
du bläst auf meinem Knöchelein!
mein Bruder hat mich erschlagen
unter der Brücke begraben,
um das wilde Schwein
für des Königs Töchterlein.“

„Ei, was für ein Hörnlein, das von selber singt!“ sprach der Hirt, wußte nicht, was es zu bedeuten hatte, brachte es aber vor den König. Da fing das Knöchlein wieder an, dieselben Worte zu singen; der König verstand wohl, was es sagen wollte, ließ

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V1_147.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)