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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält

III.
Dom Karlos.
Infant von Spanien.


Die Ursache, warum das Publikum die Tragödie Dom Karlos in Bruchstücken voraus empfängt, ist keine andre, als der Wunsch des Verfassers, Wahrheit darüber zu hören, eh er sie wirklich vollendet. Bei dem anhaltenden starren Hinsehn auf die nämliche Fläche kann es nicht anders kommen, als daß die Augen, auch des schärfsten Beobachters, anfangen trübe zu werden, und die Objekte verwirrt durcheinander zu schwimmen. Wenn der Dichter nicht Gefahr laufen will, sich in seinen eigenen Irrgängen zu verwickeln, und über der ängstlichen Farbenmischung des Details die Perspektive des Ganzen zu verlieren, so ist es nöthig, daß er zuweilen aus seinen Illusionen heraustrete, daß seine Phantasie von ihrem Gegenstand erkalte, und fremde Empfindung seine eigne zurechtweise. Mit den Lieblingswerken unsers Geistes ergeht es uns beinahe wie mit unsern Mädchen – endlich werden wir blind für ihre Flecken, und stumpf durch Genuß. Dort wie hier sind kurze Entfernungen, kleine Spannungen oft heilsam, die erlöschende Glut des Affekts wieder anzublasen.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1785–1787, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band1_Heft1_095.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)