Als Olga Iwanowna um die achte Morgenstunde, mit einem nach der schlaflosen Nacht schweren Kopf, unfrisiert, unschön, mit schuldbewußter Miene aus dem Schlafzimmer kam, sah sie einen unbekannten Herrn mit schwarzem Vollbart, anscheinend einen Arzt, ins Vorzimmer gehen. Es roch nach Arzneien. Vor der Tür zum Kabinett stand Korosteljow und drehte sich mit der rechten Hand den linken Schnurrbart.
„Entschuldigen Sie, ich kann Sie zu ihm nicht hineinlassen,“ sagte er mürrisch zu Olga Iwanowna. „Sie können sich anstecken. Außerdem hat es auch keinen Zweck. Er ist sowieso bewußtlos.“
„Ist es echte Diphtheritis?“ fragte Olga Iwanowna leise.
„Ein Mensch, der sich wissentlich in Gefahr begibt, gehört eigentlich vors Gericht,“ brummte Korosteljow, ohne Olga Iwanownas Frage zu beantworten. „Wissen Sie, auf welche Weise er sich angesteckt hat? Am Dienstag hat er einem kranken Jungen mit einem Röhrchen die Diphtheriehäute ausgesogen. Wozu? Einfach aus Dummheit…“
„Ist es sehr gefährlich?“ fragte Olga Iwanowna.
„Ja, man sagt, es sei eine sehr schwere Form. Eigentlich sollte man den Schreck kommen lassen.“
Es kam ein kleiner rothaariger Mann mit langer Nase und jüdischem Akzent; nach ihm ein langer, gebückter, mit zerzaustem Haar, einem Protodiakon ähnlich; dann ein junger,
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/167&oldid=- (Version vom 31.7.2018)