ihm vom Anfang bis zum Ende, mit allen Einzelheiten, und begriff plötzlich, daß er in der Tat ein ungewöhnlicher, seltener und, im Vergleich zu denen, die sie kannte, großer Mensch war. Sie erinnerte sich auch, wie sich zu ihm ihr verstorbener Vater und alle seine Kollegen verhielten, und begriff, daß sie alle in ihm eine zukünftige Berühmtheit sahen. Die Wände, die Decke, die Lampe und der Teppich auf dem Boden blinzelten ihr höhnisch zu, als wollten sie ihr sagen: „Verpaßt! Verpaßt!“ Sie lief weinend aus dem Schlafzimmer, huschte im Gastzimmer an einem unbekannten Menschen vorbei und stürzte ins Kabinett zu ihrem Mann. Er lag unbeweglich auf dem türkischen Sofa, bis zu den Hüften unter der Bettdecke. Sein Gesicht war furchtbar eingeschrumpft, eingefallen und hatte eine graugelbe Farbe, wie sie die Lebenden niemals haben; nur an der Stirn, den schwarzen Augenbrauen und dem bekannten Lächeln konnte man erkennen, daß es Dymow war. Olga Iwanowna betastete ihm schnell die Brust, die Stirn und die Hände. Die Brust fühlte sich noch warm an, aber die Stirn und die Hände waren unangenehm kalt. Und die halbgeöffneten Augen sahen nicht auf Olga Iwanowna, sondern auf die Bettdecke.
„Dymow!“ rief sie laut: „Dymow!“
Sie wollte ihn erklären, daß alles nur eine Verirrung gewesen, daß noch nicht alles verloren sei, daß das Leben noch schön und glücklich werden könne, daß er ein seltener, ungewöhnlicher, großer Mensch sei und daß sie ihn ihr Leben lang verehren und anbeten, vor ihm eine heilige Scheu empfinden würde…
„Dymow!“ rief sie, ihn an der Schulter schüttelnd, und konnte nicht glauben, daß er nie wieder erwachen werde. „Dymow, Dymow!“
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/172&oldid=- (Version vom 31.7.2018)