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„Genug“, fiel ich ihm ein, „und Eure Phantasie läßt Euch satt werden; aber könntet Ihr hiezu nicht das nächste beste Kochbuch nehmen? Ihr hättet zum mindesten mehr Abwechslung.“

„Ei, da ist noch ein großer Unterschied! Sehet, das verstehet Ihr nicht recht; in den Kochbüchern wird nur beschrieben, wie etwas gekocht wird, aber ganz anders im Vergißmeinnicht; da kann man lesen, wie es schmeckt, Clauren ist nicht nur Mundkoch und Vorschneider, sondern er kaut auch jede Schüssel vor und erzählt, so schmeckte es; und wie natürlich ist es, wenn er oft beschreibt, wie diesem die Sauce über den Bart herab geträufelt sei, oder wie jener vor Vergnügen über die Trüffelpastete die Augen geschlossen. Überdies hat man dabei den herrlichsten Flaschenkeller gleich bei der Hand, und wenn ich das Glas mit Dünnbier zum Munde führe, schiebt er mir immer im Geiste Trimadera, Bordeaux oder Champagner unter.“

So sprach der junge Mann und ging weiter, um auf sein großes Claurensches Traktement[WS 1], der Verdauung wegen, zu promenieren.

„Was ist Rumford[1] gegen einen solchen Mann“, sprach ich zu mir; „jener bereitet aus alten Knochen kräftige Suppen für Arme und Kranke; ist aber hier nicht mehr als Rumford und andere? Speist und tränkt er nicht durch eine einzige Auflage des Vergißmeinnicht fünftausend Mann? Wenn nur die Phantasie des gemeinen Mannes etwas höher ginge, wie wohlfeil könnte man Spitäler, ja sogar Armeen verproviantieren? Der Spitalvater oder der resp. Lieutenant nähme das Vergißmeinnicht zur Hand, ließe seine Kompanie Hungernder antreten, ließe sie trockenes Kommißbrot speisen und würde ihnen einige Tafelseiten aus Clauren vorlesen.

Doch von solchen Thorheiten sollte man nicht im Scherz sprechen, sie verdienen es nicht, denn wahrer bitterer Ernst ist es, daß solche Niederträchtigkeit, solche Wirtshauspoesie, solche Dichtungen [241] à la carte, wenn sie ungerügt jede Messe wiederkehren dürfen, wenn man den gebildeten Pöbel in seinem Wahn läßt, als wäre dies das Manna, so in der Wüste vom Himmel fällt, die Würde unserer Litteratur vor uns selbst und dem Auslande, vor Mit- und Nachwelt schänden!

Doch ich komme, meine verehrten Zuhörer, noch auf einen andern Punkt, den man weniger Ingredienz oder Zuthat, sondern Sauce piquante nennen könnte: das ist die Sprache. Man wirft nicht mit Unrecht den Schwaben und Schweizern vor, daß sie nicht sprechen, wie sie schreiben, aber wahrhaftig, es gereicht H. Clauren zu noch größerem Vorwurf, daß er so gemein schreibt, wie er gemein und unedel zu sprechen und zu denken scheint. Man hat in neuerer Zeit manches verschrobene und verschränkte Deutsch lesen müssen, waren es Wendungen aus dem 15. Jahrhundert, waren es Sätze aus einer spanischen Novelle, es wollte sich in unserer reichen, herrlichen Sprache nicht recht schicken. Ohrzerreißend waren auch die Kompositionen, die Voß[WS 2] nach Analogie Homers vornahm; aber man kann Männer dieser Art höchstens wegen ihres schlechten Geschmacks bedauern, anklagen niemals; denn es lag dennoch ein schöner Zweck ihrem wunderlichen Handhaben der Sprache zu Grunde. Was soll man aber von der geflissentlichen Gemeinheit sagen, womit der Erfinder der Mimilis-Manier seine Produkte einkleidet? König Salomo, wenn er noch lebte, würde diesen Menschen mit einem Freudenmädchen vergleichen. Sie geht einher im Halbdunkel, angethan mit köstlichen Kleidern, mit allerlei Flimmer und Federputz auf dem Haupte. Du redest sie an mit Ehrfurcht, denn du verehrst in ihr eine wohlerzogene Frau aus gutem Hause, aber sie antwortet dir mit wieherndem Gelächter, sie gesteht, sie müsse lachen, daß „sie der Bock stößt“; sie spricht in Worten, wie man sie nur in Schenken und auf Blauen Montags-Tänzen hören konnte, sie enthüllt sich, ohne zu erröten, vor deinen Augen und spricht Zoten und Zötchen dazu. Wehe deinem Geschmack, wehe dir selbst und deinem sittlichen Wert, wenn dir nicht klar wird, daß die, welche du für eine anständige Frau gehalten, eine feile Dirne ist, bestimmt zum niedrigsten Vergnügen einer verworfenen Klasse.


  1. Benj. Thomson Graf von Rumford (1753–1814), bekannter Physiker, 1783–99 in München thätig, durch viele gemeinnützige Einrichtungen um das Wohl der Armen verdient. Nach ihm benannt die hier erwähnte Rumfordsche Suppe, aus Knochen, Blut und andern billigen Stoffen hergestellt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Verpflegung, Bewirtung.
  2. Johann Heinrich Voß (1751–1826); deutscher Dichter und Übersetzer, der vor allem durch die Übertragung der Werke Homers ins Deutsche bekannt wurde.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 240–241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_123.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)