letztere heutzutage kein vernünftiger Mensch mehr glaubt, wird man wohl auch das erstere nicht glauben dürfen, wenn man sich nicht dem Verdachte aussetzen will, daß man ein liebgewonnenes Vorurteil nicht aufgeben mag.
Der einzige deutsche Universitätsprofessor, welcher aus kabbalistischen und talmudischen Schriften den wissenschaftlichen Beweis für das Vorhandensein des jüdischen Ritualmords zu liefern versucht hat, ist der Professor Dr. Rohling zu Prag. Ich habe aber bereits nachgewiesen, daß kein einziger Fachmann in ganz Deutschland dessen Beweise als gültig anerkannt hat, daß sie vielmehr von allen sprachkundigen Gelehrten, katholischen wie protestantischen, als verfehlt und verunglückt zurückgewiesen worden sind. Wohl will Dr. Rohling in einem Büchlein, das ein Rabbi Mendl herausgegeben haben soll, gelesen haben, daß Christenblut in allen Ländern vergossen und zur Ehre Gottes genossen werde, die Juden in Polen, Ungarn und Galizien seien besonders eifrig im Genusse des Christenblutes, aber auch die Juden in den übrigen Ländern müßten dazu angeeifert werden, daß sie Christenblut genießen und es zu diesem Zwecke in die Osterkuchen oder Mazzen backen. Von diesem Büchlein sagt Dr. Rohling, es sei in seinem Besitz gewesen, aber er war so unendlich leichtsinnig, daß er es abhanden kommen ließ. Man hat überall innerhalb und außerhalb der österreichischen Grenzpfähle Nachforschungen nach demselben anstellen lassen, aber nirgends war es aufzufinden. Man wird auch wohl daran thun, nachdem seither etwa zwanzig Jahre verflossen sind, die Hoffnung aufzugeben, es je wieder aufzufinden, man wird vielmehr den Männern beistimmen, welche sagen, daß der Rabbi Mendl, welcher im 18. Jahrhunderte lebte, ein Büchlein mit solchem Inhalt gar nicht geschrieben hat.
Wenn man nun diese Art von wenig glaubwürdigen, schwindelhaften oder als Fälschungen nachgewiesenen Beweisen, die für den Blutgenuß der Juden beigebracht werden, mit den vollkommen glaubwürdigen, vollgültigen, unanfechtbaren Beweisen zusammenstellt, die gegen den Blutgenuß der Juden sprechen, dann muß schon ein großes Maß von Voreingenommenheit für den Ritualmord-Aberglauben vorhanden sein, um nur für einen Augenblick einen Zweifel noch darüber aufkommen zu lassen, ob man sich für oder gegen den Blutgenuß der
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/25&oldid=- (Version vom 31.7.2018)