Erblehre, weder in den Schriften der Kirchenväter noch in den Beschlüssen der Kirchenversammlungen eine Stelle sich nachweisen läßt, aus welcher hervorginge, daß man der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria göttliche Verehrung erweisen dürfe oder solle. Dagegen kann ich nicht behaupten, daß es niemals Leute gegeben hat, welche sich Christen genannt und als solche die Mutter Gottes göttlich verehrt oder angebetet haben. Ich kann das um so weniger behaupten, als die Kirchengeschichte mir von der Sekte der Kollyridianerinnen hierauf Bezügliches erzählt. Die Kollyridianerinnen waren Frauen in Arabien, die zu Ehren Marias, der sie göttliche Ehren erwiesen, eigene Versammlungen hielten und sich als ihre Priesterinnen betrachteten. An einem bestimmten Festtage trugen sie auf einem Wagen, wie ihn die Heiden bei ihren religiösen Umzügen gebrauchten, der Gottesmutter geweihte Brotkuchen, - Kollyrides oder Kollyria, woher ihr Name -, herum, brachten ihr solche als Opfer dar und genossen sie dann selbst, gewissermaßen eine Marianische Messe feiernd, die aber ganz nach heidnischer Art gestaltet war, und an die feierlichen Umzüge zu Ehren der Göttin Ceres erinnerte. Verurteilt von der Kirche, welche die innigste Verehrung, nie aber die Anbetung der Mutter des Herrn gestattete, gingen sie spurlos unter. Es hat also wirklich Christen gegeben, welche die Mutter Gottes göttlich verehrten, während die Kirche gegen eine solche Verehrung entschiedenen Widerspruch erhoben hat.
„Ähnlich verhält es sich nun mit dem Ritualmord,“ sagt mein H. Recensent. „Man kann behaupten, daß es einen Ritualmord als religiöse jüdische Institution nicht giebt, aber man kann nicht behaupten, daß es keine einzelnen Juden und keine Judensekten giebt, die infolge eines Blutaberglaubens Christen umbringen.“ Hierzu behaupten, wie ich das bereits weiter auseinander gesetzt habe, die unterrichteten schriftkundigen Juden, daß in der That weder in ihren heiligen Schriften, noch in den religiösen Büchern, welche die mündlichen Überlieferungen enthalten, der Ritualmord gestattet oder gar geboten sei. Von christlicher Seite hat man den Versuch gemacht, einzelne Stellen aus Religionsbüchern der Juden namhaft zu machen, in welchen der Ritualmord gelehrt und empfohlen werde. Dagegen haben protestantische und katholische Gelehrte den Beweis geliefert, daß man sich mit Unrecht zum Nachweis
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/39&oldid=- (Version vom 31.7.2018)