beschimpften gröblich die Zeugen, steiften sich auf Nebenumstände, suchten die Sache auf anderes abzuleiten u. s. w. Ich glaube, daß Unschuldige sich nie und nimmermehr so benehmen, wie es in den letzten sogenannten Ritualmord-Prozessen die Juden gethan haben.“
Aus dem Benehmen Angeklagter bei gerichtlichen Verhandlungen zu schließen, daß sie Juden sind, ist unter Umständen ein Schluß, der seine volle Berechtigung hat. Diesen Schluß habe ich selbst bei anderen Gelegenheiten gezogen, und er war jedesmal richtig. Wenn in meiner ehemaligen Pfarrgemeinde Wiesen ein Viehmarkt abgehalten wurde, hörte ich oftmals aus der Ferne her in meinem Zimmer einen furchtbaren Lärm, lautes Schreien und Händepatschen, und ich zog daraus jedesmal den Schluß, daß es Juden seien, die diesen Lärm verursachten. So war es auch in der That. Und um was handelte es sich dabei, und was stand auf dem Spiele? Oft handelte es sich um fünfzig Pfennig oder eine Mark, die der Käufer noch zulegen oder der Verkäufer nachlassen sollte, und um diese Kleinigkeit wurde eine halbe Stunde lang in der heftigsten Weise gelärmt und verhandelt, als ob es sich um eine Million oder ein ganzes Königreich handelte. Das ist eben das orientalische Blut, welches noch in den Adern der Juden rollt und bei solchen Gelegenheiten in Wallung kommt, das um so mehr in Wallung kommt, wenn es sich bei einem sogenannten Ritualmord-Prozess um Leben oder Tod der angeklagten Juden handelt und die antisemitische Sturmflut ihre Wogen bis in den Gerichtssaal wälzt.
Aus dem bloßen Benehmen eines angeklagten Juden in öffentlicher Gerichtsverhandlung, abgesehen von anderen vollgültigen Beweisen, auf dessen Schuld zu schließen, wäre ein höchst bedenkliches Verfahren, zu welchem sich ein Richter von Beruf wohl kaum verstehen dürfte. Es wäre ja möglich, daß einfache Geschworene einen derartigen Wahrspruch abgeben könnten, wenn sie vielleicht antisemitisch angehaucht sind, aber wohin würde es führen, wenn auch in diesen Kreisen eine solche Anschauung weitere Verbreitung finden sollte? Wir würden dann zweifellos noch mehr Verurteilungen Unschuldiger durch Schwurgerichte zu beklagen haben, als wir sie leider bis jetzt schon zu beklagen hatten, und für die Entschädigung unschuldig Verurteilter würde nicht Geld genug aufzutreiben sein. Sind ja
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/41&oldid=- (Version vom 31.7.2018)