wird sich so leicht nichts ereignen.“ Er nennt zwar keinen Namen, aber in jeder antisemitischen Zeitung findet man die Fälle verzeichnet, die er bei diesen Zeilen im Auge hatte. Hierauf schließt das Gutachten mit einer Entschuldigung für die Polizei, der es unmöglich sei, die Ritualmorde zu verhindern. Diese Unmöglichkeit begründet er damit, daß die Juden in der Ausführung des Ritualmords eine vielleicht „vieltausendjährige Routine“ haben. Damit hat H. Dr. Müller ein großes Wort gelassen ausgesprochen. Die Juden haben mit dem 14. September 1901 das 5662. Jahr seit Erschaffung der Welt nach ihrem Kalender angetreten. Wenn nun der jüdische Ritualmord eine vieltausendjährige Übung sein soll, so müßte er schon mit Erschaffung der Welt begonnen haben, und Kain würde vielleicht der erste Ritualmörder sein, wenn man ihn einen Juden nennen könnte. Da dies aber nicht wohl möglich ist, so müssen wir die Übung des Ritualmords mit Abraham, dem Stammvater des Hebräervolkes, beginnen lassen. Ein Grund, warum H. Dr. Müller den Ritualmord in der Zeit so hoch hinaufrückt, läßt sich auch sehr leicht denken. Er hat gewiß auch schon jene uralten Bilder auf den ägyptischen Grabmälern gesehen, auf denen sich echte Judengestalten finden, die manchen Juden der Gegenwart täuschend ähnlich sind. Nachdem aber die Juden schon in den ältesten Zeiten mit anderen Völkern sich nicht vermischen durften, wird wohl auch damals schon der Ritualmord als Mittel, um die Rassereinheit zu bewahren, bei den Juden in Übung gewesen sein – nach Dr. Müllers Gutachten! Um das scharfe Verbot des Mordes und des Blutgenusses, die den Juden unter Todesstrafe untersagt waren, braucht sich „ein hervorragender Mann der Wissenschaft und des praktischen Lebens“ ja nicht zu kümmern!
Ich kann mir vorstellen, wir H. Dr. Hentschel, ungläubig den Kopf schüttelnd und vornehm lächelnd, das Gutachten Dr. Müllers beiseite gelegt hat, mit den Worten: „Phantasien, aber keine Thatsachen! Ein guter Antisemit, aber ein schlechter Musikant!“ Und das sage ich auch. Das wissenschaftliche Gutachten Dr. Müllers ist nichts weiter als eine Leichenrede auf den Ritualmord-Aberglauben.
Dem Juristen Dr. Müller folgt ein anderer Jurist, der sich aber schämt, als ein „hervorragender Mann der Wissenschaft und des praktischen Lebens“ in der Öffentlichkeit zu erscheinen, und deswegen den
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/69&oldid=- (Version vom 31.7.2018)