Gericht abgelegt haben. Ich habe jedoch schon darauf hingewiesen, daß diese Aussagen nicht den mindesten Glauben verdienen, und daß auch überhaupt bis jetzt nicht ein einziger Fall von Ritualmord gerichtlich nachgewiesen werden konnte. Ich brauche das nicht zu wiederholen, möchte vielmehr auf einen anderen Punkt hier besonders aufmerksam machen.
Es ist geschichtlich festgestellt, daß der Ritualmord-Aberglaube zu derselben Zeit in Europa auftauchte, in welcher auch der Hexen-Aberglaube seine Opfer zu fordern anfing, und daß in der nämlichen Zeit Tausende von Juden wegen angeblichen Ritualmords den Tod in den Flammen fanden, in welcher Christen wegen angeblichen Bündnisses mit dem Teufel auf dem Scheiterhaufen starben. In diese Zeit sind wir, wie ein „hervorragender Mann der Wissenschaft und des praktischen Lebens“, nebenbei technischer Beamter und alter Judenforscher, uns belehrt, wieder zurückgelangt. Er sagt uns ja, daß derjenige, welcher in unseren Tagen noch Ritualmorde verübt, ganz der nämliche ist, welcher die Hexen auf dem Blocksberge um sich versammelte und sie nachher dem Scheiterhaufen überlieferte. Der alte Judenforscher hat damit, wenn auch gegen seinen Willen, ein Zeugnis für die Wahrheit abgelegt, daß es ganz derselbe Aberglaube ist, der früher die Christen der Hexerei beschuldigte, und heute noch die Juden wegen Ritualmords anklagt. Das sollte denn doch Herrn Dr. Bachler und die ganze Redaktion der Staatsbürger-Zeitung zu ernstem Nachdenken stimmen und sie wieder an die schöne, erhabene, segensreiche Aufgabe der Presse erinnern, auf die sie vergessen zu haben scheinen. Die Presse soll mithelfen zur Erziehung und Veredelung des Volkes, zur Ausrottung des Aberglaubens und Verbreitung nützlicher Kenntnisse, zur Pflege der sittlichen und bürgerlichen Tugenden, und wenn sie dieser hohen, heiligen Mission treu und eifrig dient, kann sie unendlich viel Gutes wirken. Sie kann aber auch unsäglich viel Böses schaffen, wenn sie den Leidenschaften schmeichelt und dem Aberglauben dient, von dem man in Wahrheit sagen kann, daß er den Lügner und Mörder von Anbeginn zum Vater hat.
Um der Staatsbürger-Zeitung zu zeigen, wie sie in der Ritualmord-Frage ihrer hohen Aufgabe gerecht werden kann, will ich ihr das Gutachten mitteilen, das ein in der That hervorragender Mann
Friedrich Frank: Nachträge zu „Der Ritualmord vor den Gerichtshöfen der Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz Buch- und Kunstdruckerei A.-G. München-Regensburg, Regensburg 1902, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Ritualmord_vor_den_Gerichtsh%C3%B6fen_(1902).djvu/96&oldid=- (Version vom 31.7.2018)