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und zwar gerade diejenigen, die in erster Linie von der Deportation betroffen wurden, Bauern sind, die sich vermutlich nicht mit der Aussaugung der ihnen benachbarten räuberischen Kurden abgegeben haben. Auch beruht alles, was man in der deutschen Presse über Charakter und Bedeutung des armenischen Handels als selbstverständliches und nicht erst zu beweisendes Urteil zu lesen gewohnt ist, auf nicht mehr als der Kenntnis einer Redensart, die im Orient je nach Bedarf abwechselnd auf Armenier, Juden oder Griechen angewendet wird. Die Grundannahme aber, daß es sich bei der Deportation und Vernichtung des armenischen Volkes um „gesetzlose Selbsthilfe“ handle, ist so sehr aus der Luft gegriffen, daß sie nicht erst der Wiederlegung bedarf.

Eine beträchtliche Anzahl von Regierungsbeamten im Innern, wie der Wali Djelal Bey in Aleppo, der Wali Rachmi Bey in Smyrna, der Wali Tahsin Bey in Erzerum, die Mutessarifs von Malatia Nabi Bey und Reschid Pascha und viele Kaimakams, haben sich mit oder ohne Erfolg gegen die Durchführung der Maßregel gesträubt. Die türkische Bevölkerung, die überall im Frieden mit den Armeniern lebte, hat sich vielfältig gegen die Deportation ihrer Mitbürger aufgelehnt und gegen deren Vernichtung bei den Behörden Verwahrung eingelegt. Die Bevölkerung von Erzerum hat eine Eingabe an die Zentralregierung gemacht. Die Türken von Alaschkert telegraphierten nach Konstantinopel und erhoben Einspruch gegen die Behandlung der Armenier. Die Türken von Wan haben ihre armenischen Mitbürger wissen lassen, daß sie nur gezwungen gegen sie kämpften; ein unberücksichtigt gebliebener Protest wurde von mehreren vornehmen Türken gegen den von dem Gouverneur angestifteten Bürgerkrieg erhoben. In mehreren Orten von Nikomedien hat die Bevölkerung den Abzug der Armenier zu verhindern versucht. In Adabasar versammelten sich die Muhammedaner der Stadt am Bahnhof, um sich der Verschickung zu widersetzen. Dasselbe geschah in Mudania, so daß der Befehl zunächst zurückgenommen

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Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes. Tempelverlag, Potsdam 1919, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Todesgang_des_armenischen_Volkes.pdf/191&oldid=- (Version vom 31.7.2018)