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innerlich ein grosses unbegreifliches vielleicht ist, und äusserlich augenscheinlich ein grosser Viehstand und ein Arbeitshaus, mit bedeutenden Küchengebäuden und Esstischen, wo, wer weise ist, einen Platz findet; alle Wahrheit dieses Universums ist ungewiss, nur der Gewinn und Verlust, nur das Magenfutter und der Beifall sind und bleiben dem praktischen Menschen einleuchtend. – Kein Gott existirt mehr für uns; Gottes Gesetze sind ein „Prinzip der grösstmöglichen Glückseligkeit,“ ein Parlamentskniff geworden; der Himmel ist eine astronomische Uhr, ein Jagdterrain für Herschel’sche Teleskope geworden, wo man auf wissenschaftliche Resultate und Sentimentalitäten jagt; in unsrer und des alten Ben Jonsons Sprache: der Mensch hat seine Seele verloren und fängt jetzt an ihren Mangel zu merken. Das ist in Wahrheit der wunde Fleck, das Centrum des allgemeinen socialen Krebsgeschwürs. – Es gibt keine Religion, es gibt keinen Gott, der Mensch hat seine Seele verloren und sucht umsonst nach einem Salz gegen die Verfaulung. Umsonst in der Hinrichtung von Königen, in französischen Revolutionen, in Reformbills, in Manchester Insurrektionen, in alle dem ist kein Heilmittel. Der faule Aussatz, für eine Stunde erleichtert, kommt in der nächsten stärker und verzweifelter wieder.“ –

Da aber die Stelle der alten Religion nicht ganz unbesetzt bleiben konnte, so haben wir ein neues Evangelium an ihrer Statt bekommen, ein Evangelium, das der Hohlheit und Inhaltslosigkeit des Zeitalters entspricht – das Evangelium des Mammon. Der christliche Himmel und die christliche Hölle sind, jener als zweifelhaft, diese als unsinnig aufgegeben – und ihr habt eine neue Hölle bekommen; die Hölle des modernen Englands ist das Bewusstsein, „nicht voranzukommen, kein Geld zu verdienen!“ – Wahrlich, mit unserm Mammonsevangelium sind wir zu sonderbaren Folgerungen gekommen! Wir nennen es Gesellschaft, und doch richten wir überall die totalste Trennung und Isolirung ein. Unser Leben ist nicht gegenseitige Unterstützung, sondern gegenseitige Feindseligkeit, unter gewissen Kriegsgesetzen, „vernünftige Konkurrenz,“ und so weiter. Wir haben durchaus vergessen, dass baare Zahlung nicht das einzige Band zwischen Mensch und Mensch ist. „Meine hungernden Arbeiter?“ sagt der reiche Fabrikant. „Hab ich sie nicht, wie recht und billig, im Markt gemiethet? Hab ich ihnen nicht meine vertragsmässige Schuldigkeit bei Heller und Pfennig bezahlt? Was hab ich sonst noch mit ihnen zu schaffen? Wahrlich, Mammonskultus ist ein trauriger Glaube!“ –

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Engels: Die Lage Englands. In: Deutsch-Französische Jahrbücher. Bureau der Jahrbücher, Paris 1844, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsch_Franz_Jahrb%C3%BCcher_(Ruge_Marx)_160.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)