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praktischen und skeptischen Engländer ziemlich unbegreifliches Phänomen. Die Leute starren ihn an, sprechen von „deutschem Mystizismus,“ von verrenktem Englisch; Andre behaupten, es sei doch am Ende Was dahinter, sein Englisch sei zwar ungewöhnlich, aber doch schön, er sei ein Prophet u. s. w. - aber keiner weiss recht, was er aus dem Ganzen machen soll.

Uns Deutschen, die wir die Voraussetzungen für Carlyle’s Standpunkt kennen, ist die Sache klar genug. Reste torystischer Romantik und menschliche Anschauungen aus Goethe auf der einen, das skeptisch-empirische England auf der andern Seite, diese Factoren reichen hin, um aus ihnen Carlyle’s ganze Weltansicht abzuleiten. Carlyle ist, wie alle Pantheisten, noch nicht über den Widerspruch hinausgekommen, und der Dualismus ist bei Carlyle um so schlimmer, da er zwar die deutsche Literatur, aber nicht ihre nothwendige Ergänzung, die deutsche Philosophie kennt, und alle seine Anschauungen daher auch unmittelbar, intuitiv, mehr schellingisch als hegelisch, sind. Mit Schelling, - d. h. dem alten, nicht dem Offenbarungsschelling, hat Carlyle wirklich eine Masse Berührungspunkte; mit Strauss, dessen Anschauungsweise ebenfalls pantheistisch ist, trifft er im „Heroenkultus“ oder „Kultus des Genius“ zusammen.

Die Kritik des Pantheismus ist in der letzten Zeit in Deutschland so erschöpfend ausgeführt worden, dass wenig mehr zu sagen bleibt. Feuerbachs Thesen in den „Anekdotis“ und B. Bauers Schriften enthalten alles hieher Gehörige. Wir werden uns also darauf beschränken können, einfach die Konsequenzen aus Carlyle’s Standpunkt zu ziehen, und zu zeigen, dass er im Grunde nur eine Vorstufe zum Standpunkte dieser Zeitschrift ist.

Carlyle klagt über die Leerheit und Hohlheit des Zeitalters, über die innere Verfaulung aller sozialen Institutionen. Die Klage ist gerecht; aber mit dem einfachen Klagen ist es nicht abgethan; um dem Uebel abzuhelfen, muss die Ursache desselben aufgesucht werden; und hätte Carlyle dies gethan, so würde er gefunden haben, dass diese Zerfahrenheit und Hohlheit, diese „Seelenlosigkeit,“ diese Irreligion und dieser „Atheismus“ ihren Grund haben in der Religion selbst. Die Religion ist ihrem Wesen nach die Entleerung des Menschen und der Natur von allem Gehalt, die Uebertragung dieses Gehalts an das Phantom eines jenseitigen Gottes, der dann wiederum den Menschen und der Natur in Gnaden etwas von seinem Ueberfluss zukommen lässt. So lange nun der Glaube an dies jenseitige Phantom kräftig und lebendig ist, so lange kommt

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Engels: Die Lage Englands. In: Deutsch-Französische Jahrbücher. Bureau der Jahrbücher, Paris 1844, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsch_Franz_Jahrb%C3%BCcher_(Ruge_Marx)_173.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)