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Wilhelm Goldbaum: Wilhelmine von Hillern. Eine literarische Studie.

Abendsegen, und vor dem frommen Klang, der wehmüthig mahnend über die blutgetränkten Felder zieht, wie ein Klageruf des entweihten zerstörten Friedens, entfliehen die bösen Geister der Wuth und der Rache. Durch die müden Seelen der Soldaten zieht die Erinnerung an das heimische Dorf, wo unter dem Läuten der Abendglocke jetzt eben die Zurückgebliebenen ein Vaterunser für sie sprechen – und wie der perlende Schweiß der Stirn, so entquillt auch wol dem Auge ein frischer Tropfen, eine verborgene Thräne des Heimwehs und der Sehnsucht nach dem Frieden. Die Sonne ist unter. Das Heer bereitet sich zum Bivouac. Die Wachtfeuer lodern auf, erst gelb und matt abstechend von der röthlichen Dämmerung, mit der sinkenden Nacht aber immer heller leuchtend. Unzählige rührige Gestalten gleiten daran vorüber. Es ist ein Summen und Schwirren, ein Hin- und Wieder- und Durcheinanderrennen, eine Geschäftigkeit auf dem weiten Plan, als könnten diese Schwärmer nie zur Ruhe kommen. Endlich strecken sich die müden Soldaten auf der harten Erde aus. Die Feuer lodern leise knisternd zu dem gestirnten Firmament empor. Rieselnder Thau kühlt die fieberheißen Stirnen der Schläfer. Eine Grille singt in dem geknickten Korn das Klagelied um ihre zertretenen Gefährten. Wie Leuchtkäfer funkeln die ruhenden Waffen im Schimmer des Mondes und geheimnißvoll, wundersam flüstert es in den Lüften – die Götter steigen zu den Helden hernieder.“


II.

Wenn aber weder die Berufung aus den alleinseligmachenden Realismus, noch die Vergleichung mit verwandten Erscheinungen ausreicht, um der schriftstellerischen Physiognomie Wilhelmine v. Hillern’s ihre Eigenthümlichkeit abzumerken; wenn der sonst für literarische Frauenleistungen übliche Maßstab versagt, um diese sinnliche Gluth, diese Energie und Unerschrockenheit im Erfinden und Durchführen abzuschätzen – wo steckt nun jenes Etwas, das die Originalität der Frau v. Hillern ausmacht, und woher stammt es? Es stammt von der Mutter und ist der ererbte und selbsterprobte dramatische Nerv, der Sinn für den Effect, für die Action, für die leidenschaftlich bewegte und folgerichtig entwickelte Handlung, das Interesse an allem Spannenden, mit Einem Worte: die Theateratmosphäre. Auf der Bühne gibt es kein psychologisches Grübeln, kein beschauliches Stillehalten und Retardiren, keine spiritualistischen Finessen. Da will Alles mit dem leibhaftigen Auge gesehen sein, Alles unmittelbar wirken. Und liest man in „Aus eigener Kraft“, wie der Neger Frank die kleine Anna rettet („Er macht ein Seil los, das er um den Arm gewickelt hat, an dessen Ende ist ein großer Stein. Niemand weiß, was er damit will. Er spricht mit Aennchen, aber man kann es bis hinunter nicht verstehen. Was will er nur mit dem Stricke?“), dann, wie die „Geier-Wally“ den jungen Lämmergeier aus dem Felsenneste herunterholt („Ohne langes Besinnen packte sie mit der Linken den jungen Vogel, der nun ein jämmerliches Geschrei anhob, und nahm ihn unter den Arm. Da rauschte es durch die Lüfte und in demselben Augenblicke ward es dunkel um sie her und wie ein Sturm und Hagelwetter schlug und brauste es ihr um den Kopf. Ihr einziger Gedanke war: „Die Augen, rette die Augen“ und das Gesicht dicht an die Felswand drückend, focht sie mit dem Messer in ihrer Rechten blindlings gegen das wüthende Thier, das mit dem scharfen Schnabel, mit Klauen und Fittigen auf sie niederdrang“), lauscht man endlich mit angehaltenem Athem dem

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Goldbaum: Wilhelmine von Hillern. Eine literarische Studie.. Deutsche Rundschau. Herausgegeben von Julius Rodenberg. Gebrüder Paetell., Berlin 1880, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DeutscheRundschau_1880_23_110.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)