Seite:Deutschland unter Kaiser Wilhelm II Band 2.pdf/702

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

überwiegend Zeichenschulen, in denen die historischen Stilarten gepflegt und das Ornamentieren gelehrt wurde. Als sich dann von den 90er Jahren ab in Kunst und Kunstgewerbe die große innere Wandlung vollzog, die zu der Abkehr von den Stilnachahmungen führte und als Ziel das sachgemäße und materialgerechte Bilden setzte, ergriff diese Bewegung auch die Kunstgewerbeschulen. Die Pflege der historischen Stile wurde dem kunstgeschichtlichen Unterricht überlassen und ein eifriges und liebevolles Studium der Natur zum Ausgangspunkt der kunstgewerblichen Erziehung gemacht. Jetzt konnte auch die Schule, die ihre Schüler zum sachgemäßen und materialgerechten Bilden erziehen wollte, nicht mehr bloße Zeichenschule bleiben. Die Schüler mußten die Möglichkeit haben, in ihrem Material zu arbeiten und Ausführungsproben zu ihren Entwürfen zu machen. So geschah es, daß nach und nach bei allen Handwerker- und Kunstgewerbeschulen Werkstätten eingerichtet wurden. Diese dienen nicht dazu, Gegenstände für den Absatz herzustellen, sondern sie sind eines der wichtigsten Mittel zur Bildung und Erziehung des kunstgewerblichen Nachwuchses. Welche Bedeutung die kunstgewerblichen Lehranstalten als Bildungsstätten für die Jugend besitzen, kann man daran erkennen, daß die preußischen Schulen (für die übrigen stehen die Zahlen nicht zur Verfügung) im Winter 1912–1913 von 3525 Tagesschülern und 11 728 Abendschülern besucht wurden. Der kunstgewerblichen Erziehung dienen außer den Handwerker- und Kunstgewerbeschulen noch eine Reihe von Spezialfachschulen, wie die Holzschnitzschulen, die keramischen und Glas-Fachschulen, die photographischen Lehranstalten und mehrere andere.

Baugewerbeschulen.

Bei den Fachschulen für das Baugewerbe ist in den letzten 25 Jahren eine für das ganze Reich maßgebende einheitliche Organisation durchgeführt. Die Führung hierbei hat die preußische Regierung gehabt, indem sie die vorhandenen Baugewerksschulen bis auf eine verstaatlichte, ihre Zahl durch eine Reihe von Neugründungen vermehrte, die Anstellungs-, Besoldungs- und Titelverhältnisse der Lehrer nach dem Muster der höheren Lehranstalten regelte, und schließlich einheitliche Lehrpläne und Prüfungen einführte. Den im Besitz der Einjährigen-Berechtigung befindlichen Absolventen der Baugewerksschulen wurde außerdem von den zuständigen Staats- und Reichsbehörden die Laufbahn der Bausekretäre, der technischen Eisenbahnsekretäre, Eisenbahn-Betriebsingenieure und Eisenbahn-Ingenieure sowie der technischen Sekretariats-Aspiranten bei der Marineverwaltung eröffnet. Der Wunsch, diese Berechtigungen auch den Absolventen ihrer Baugewerksschulen zu verschaffen, veranlaßte die übrigen Bundesstaaten, die preußische Organisation und die preußischen Lehrpläne anzunehmen. Der im Jahre 1899 erlassene Normallehrplan, der einen viersemestrigen Aufbau vorsah, wurde vom Jahre 1908 dahin umgestaltet, daß der Lehrgang auf 5 Halbjahre erweitert wurde. Die Baugewerksschulen zerfallen in Hoch- und Tiefbauabteilungen. Beide Abteilungen haben in den ersten 3 Halbjahren gemeinsamen, in den letzten beiden Halbjahren getrennten Unterricht. Aufnahmefähig sind junge Leute, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, den Lehrstoff einer mehrklassigen Volksschule beherrschen und eine handwerksmäßige Tätigkeit im Baugewerbe von 12 Monaten nachweisen können.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 2. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_2.pdf/702&oldid=- (Version vom 20.8.2021)