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wirkten im Gesamtgebiet hauptsächlich der anorganischen und der analytischen Chemie teilweise fundamental umgestaltend; eine Anzahl bekannter, aber allgemein nicht recht deutbarer Erscheinungen wurden aufgeklärt und sogar quantitativer Berechnung zugänglich. So gab, um nur ein Beispiel anzuführen, Arrhenius (1890), ausgehend von der durch Kohlrauschs Arbeiten festgestellten Tatsache, daß das Wasser selbst ein allerdings sehr schwach zerfallener Elektrolyt ist, eine die Erscheinungen der Salzhydrolyse vollständig erklärende umfassende Theorie. Die grundlegende Zahlenkonstante dieser Theorie, der Dissoziationsgrad des Wassers, fand sich im Experiment auf den verschiedensten ganz unabhängigen Wegen, aus der direkt gemessenen Leitfähigkeit des Wassers (Kohlrausch und Heydweiller 1894), aus der Esterifikationsgeschwindigkeit im reinen Wasser (Wijs 1893), aus der elektromotorischen Kraft der Säure-Alkalikette (Ostwald 1893) und aus der Salzhydrolyse selbst (Arrhenius 1893, Kanolt 1907) der Höhe nach vollständig übereinstimmend. Eine überraschend glänzende Bestätigung der ganzen Theorie der elektrolytischen Dissoziation.

Affinitätskonstante und Körperkonstitution.

Wie die eingehenden Untersuchungen Ostwalds (1888) ergaben, erhält man aus den an schwächeren Säuren in verschiedenen Verdünnungen experimentell ermittelten Dissoziationsgraden, unter gleichzeitiger Anwendung des Massenwirkungsgesetzes von Guldberg und Waage auf das in den Säurelösungen bestehende elektrolytische Gleichgewicht, auf rechnerischem Wege eine Konstante, deren von der wechselnden Verdünnung unabhängiger Zahlenwert die betreffende Säure ihrer Stärke und Reaktionsfähigkeit nach völlig charakterisiert. Diese „Affinitätskonstante“ der Säure – und das gleiche hat Bredig 1894 für Basen dargetan – hängt ihrer Größe nach enge zusammen mit dem Aufbau der Elektrolytmolekel. Die Arbeiten Ostwalds und später Wegscheiders (1902) erweisen die Zahlenwerte dieser Konstante als so unveränderlich verknüpft mit der Art der in den betreffenden Körpern vorkommenden Atomgruppen, daß von Säuren oder Basen, die nicht experimentell gemessen, unter Umständen sogar nicht einmal dargestellt sind, wofern man nur Einblick in ihren chemischen Aufbau hat, ohne weiteres chemische Stärke und Reaktionsfähigkeit, und zwar ziffermäßig ausgedrückt, mit Hilfe jener Zahlenwerte sicher sich voraussagen lassen.

Osmotische Theorie der galvanischen Stromerzeugung.

Unmittelbar mit der Lehre vom osmotischen Druck und der Dissoziationstheorie hängt eine andere Theorie zusammen. die auf ihrem Sondergebiete, der Umwandlung chemischer Energie in elektrische, einschneidenden Einfluß geübt hat, die von Nernst 1889 aufgestellte osmotische Theorie des galvanischen Elementes. Allerdings verfügte die Wissenschaft bereits über die Helmholtzsche thermodynamische Theorie; diese lehrte, wie aus einem thermischen Werte, der Wärmetönung des in der galvanischen Kette sich abspielenden chemischen Vorgangs, und aus dem Temperaturkoeffizient der Elementspannung die elektromotorische Gesamtkraft des Elementes, also seine verfügbare elektrische Energie, sich berechnen läßt. Es fehlte aber eine speziell chemische Theorie, die unter Zerlegung

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/194&oldid=- (Version vom 20.8.2021)