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wohl aber ist zu konstatieren, daß, wie die Wissenschaft sich der Ergründung jener vielgestaltigen Epoche zuwendet, so auch die Dichter mit den Helden, freilich wohl mehr mit den Frauen aus jenen Tagen, sympathisieren. Schon bei Fulda und Schnitzler waren Renaissancedramen zu erwähnen. Hier sei noch ein anderes aufgeführt.

Ein echtes Renaissancedrama ist Thomas Manns Fiorenza (Berlin 1906). Es spielt am 8. April 1492, am Todestage Lorenzos von Medici, und führt den Sterbenden seine Söhne, die literarischen Freunde, seine Geliebte Fiore und den großen Mönch Savonarola vor. Es verrät ein wenig gar zu sehr die Lektüre Burckhardts und anderer Renaissancedarsteller, weiß aber die Persönlichkeiten Lorenzos und Savonarolas in lebendiger Form vorzuführen und ein spannendes Bild des Lebens und Treibens der blühenden Stadt zu geben. Die Erfindung der Fiore ist des Dichters Eigentum und höchst packend ist gerade der Umstand, daß Fiore es war, die, durch ihre frühere Abweisung des Savonarola, diesen seiner finsteren Richtung zugetrieben haben soll.

Des ferneren wurde Cesare Borgia häufig Hauptperson von Dramen: K. Bleibtreu, R. Lothar, J. V. Widmann; oder Lorenzino von Medici: W. Weigand. Und Pietro Aretino (Eduard Strauß). Auch Giordano Bruno reizte, wie schon in früheren Zeiten, manche Bearbeiter.

So sehr nun auch dieses Schweifen in vergangenen Zeiten und in fernen Ländern – denn auch Indien wurde der Schauplatz mancher Dramen – schon eine Umkehr des Naturalismus bedeutete, der eben nur das vorzuführen liebte, was man wirklich zu sehen vermochte, so zeigt sich eine solche Umwandlung noch deutlicher in dem Schaffen mancher schon erwähnten Dichter und in den tastenden Versuchen vieler anderer.

Mystizismus und Symbolismus.

An die Stelle des Naturalismus trat die neue Romantik, die sich in Mystizismus und Symbolismus gefiel. Zeugnisse dafür sind: „Hannele“ und „Die versunkene Glocke“ (Hauptmann), „Morituri“ und „Die drei Reiherfedern“ (Sudermann). Zu wirklich großen Leistungen hat es diese Richtung, die sich in der Lyrik und im Roman stärker zeigt als im Drama, nicht gebracht.

Märchen.

Nur könnte man sagen, daß nach Fuldas Beispiel (Talisman) das Märchen wieder zu Ehren kam.

Das sog. „Märchen“ Wieland von Karl Vollmüller (Leipzig 1911) ist trotz aller Anspielungen auf Wieland den Schmied keine Spur vom Märchen. Es ist vielmehr eine witzige, stark übertreibende Satire, eine Schilderung des ersten Luftschiffes, dessen Geldgeber und Erfinder zugrunde geht, Darstellung der unglücklichsten Familien- und Gesellschaftsverhältnisse und Schilderung eines diabolischen deutschen Klavierlehrers, der ein Genie, ein Hansnarr und ein Schürzenjäger in einer Person ist. Fast alle Personen sind karikiert, aber mit überlegenem Hohn gezeichnet.

Ein wirkliches Märchen, sinnig erdacht, poetisch gestaltet, gab Karl Schönherr: „Das Königreich“: der Teufel als Geiger verzaubert einen Fürsten und seinen Hof; diese werden gerettet, der Teufel selbst veredelt durch die Reinheit eines jungen Paares,

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Diverse: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. – Band 3. Verlag von Reimar Hobbing, Berlin 1914, Seite 1643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutschland_unter_Kaiser_Wilhelm_II_Band_3.pdf/514&oldid=- (Version vom 20.8.2021)