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Seite:Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat.djvu/12

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Solche auf natürlichen Zusammenschluß der Teile zum Ganzen und auf die Kraft des Ganzen als Lebensquelle der Teile gestützte Vereinigung stellt die Organisationsform des Föderalismus dar im Gegensatz zum Zentralismus, der die künstliche Organisationsform der Macht und des Staates ist, wie sie der Kapitalismus bis zur restlosen Vernichtung der Persönlichkeit, der Gleichheit, der Selbstbestimmung, der Selbstverantwortung und der Gegenseitigkeitsbeziehung emporgezüchtet hat. Föderalismus verhält sich zu Zentralismus wie Organismus zu Mechanismus, das heißt wie Gewachsenes, Naturgewordenes, Wesenhaftes zu Geknetetem, Zusammengebasteltem, Nachgemachtem. Föderalismus ist Gemeinschaft der lebendigen Teile zum Gefüge eines lebendigen Ganzen, Zentralismus ist Aneinanderkettung der Teile zur willenlosen Lenkung durch ein unbeseeltes Triebwerk. Im Föderalismus wirkt die Uebereinkunft der Individuen, ihren unterschiedlos auf den eigenen wie auf den Gesamtvorteil gerichteten Willen zur vernünftigen Herstellung des Bedarfs, zu seiner vernünftigen Verteilung und Verwendung und zur gerechten Gestaltung aller übrigen Lebensbeziehungen zu verbinden; im Zentralismus wirkt das von außen gegebene Gesetz der jeweiligen Macht, welche die Vorrichtungen zur Niederhaltung des Gemeinschaftswillens in den Händen hält. Der Föderalismus baut den Gemeinschaftskörper von unten auf, indem er die schaffenden Kräfte selber in unmittelbarer Verständigung die Maßnahmen treffen läßt, von denen das Wohl der Einzelnen und das Gemeinwohl abhängt und die die Bürgschaft gewähren, daß das Gemeinwohl das Wohl des Einzelnen in sich schließt. Der Zentralismus bewegt die nur äußerlich zusammengebundenen, aber aus keiner inneren Notwendigkeit einander vertrauten Einzelnen von oben her, indem er den Persönlichkeitswillen lähmt und ihm die Leitung durch einen gemeinschaftsfremden, der Prüfung entzogenen Willen aufzwingt. Föderalismus ist Organisation durch natürliche Ordnung; Zentralismus ist Ersatz der Ordnung durch Ueberordnung und Anordnung. Die föderalistische Organisation entspricht den Forderungen der Gerechtigkeit, der Gegenseitigkeit, der Gleichheit, der gemeinsamen Selbstverantwortung, der Gemeinschaft aus Einzelnen. Die zentralistische Organisation entspricht den Bedürfnissen der Macht, der Obrigkeit, der Ausbeutung, des Klassenzwiespalts, der Bevorzugten. Föderalismus ist Ausdruck der Gesellschaft; Zentralismus ist Ausdruck des Staates.

Staat und Gesellschaft nämlich ist zweierlei. Weder ist die Gesellschaft eine Zusammenballung aller verschiedenen Organisationen und Verbindungen, innerhalb deren die Menschen ihre gemeinschaftlichen Angelegenheiten ordnen und unter denen der Staat neben anderen Einrichtungsformen besteht, noch ist der Staat von etlichen Möglichkeiten eine der Organisationsarten, in denen sich die Gesellschaft verkörpern kann. Es ist in aller Eindeutigkeit so, daß wo Gesellschaft besteht, für den Staat kein Raum ist, wo aber der Staat ist, er als Pfahl im Fleische der Gesellschaft steckt, ihr nicht erlaubt, Volk zu bilden und gemeinschaftlich ein- und auszuatmen, sie statt dessen in Klassen trennt und dadurch verhindert, Gesellschaft zu sein. Ein zentralisiertes Gebilde kann nicht zugleich ein föderalistisches Gebilde sein. Ein obrigkeitlich zugerichtetes Verwaltungswesen ist Regierung, Bürokratie, Befehlsgewalt, und dies ist das Merkmal des Staates; eine auf Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit aufgebaute Gemeinschaft ist in den Grenzen der räumlichen Verbundenheit der Menschen Volk, als allgemeine Lebensform der Menschheit betrachtet, Gesellschaft. Staat und Gesellschaft sind gegensätzliche Begriffe; eins schließt das andere aus.

Vom Klassenstaat reden, heißt von hölzernem Holz reden. Staat ist nichts anderes, kann nichts anderes sein als zentralisierter Ausführungsdienst einer vom Volk gelösten Klasse zur Beherrschung des entrechteten und zur beherrschten Klasse erniedrigten Volkes. Das staatliche Verwaltungsverfahren teilt also die menschliche Gesellschaft in Gesellschaftsklassen, indem es Grund und Boden nebst den von Menschen geschaffenen Produktionsmitteln als Eigentum der bevorzugten Klasse schützt, die Zulassung zur Benutzung des Eigentums durch die fast die Gesamtheit umfassende Klasse der Besitzlosen nach den Grundsätzen der Unantastbarkeit des Eigentumvorrechts und der Wahrung des Charakters der Arbeitsleistung als Verdingung der Arbeitskraft regelt. Ausschließlich zu diesem Zweck ist der Staat geschaffen, niemals hat er einem andern Zweck gedient, niemals könnte er anderen Zwecken nutzbar werden. Nur wo Herrenrecht gegen Sklavenrecht steht, hat der Staat Sinn, findet er Aufgaben der Betätigung. Erst mit dem Entstehen persönlichen Eigentums zur Ausbeutung von Menschen konnte der Staat werden, ist er geworden. Mit der Entfaltung des Kapitalismus, der die materiellen Ausbeutungsgrundsätze der Eigentümer zum Mittelpunkt des gesamten Lebens der Menschen machte, vergrößerte und vergröberte der Staat beständig das Netz von Gesetzen, Aufsichts- und Zwangsmaßregeln, durch welche das Proletariat in der Hörigkeit der bevorrechtigten Klasse gehalten werden soll. Wieder aber sind es die

Empfohlene Zitierweise:
Erich Mühsam: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Fanal-Verlag Erich Mühsam, Berlin 1933, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Befreiung_der_Gesellschaft_vom_Staat.djvu/12&oldid=- (Version vom 31.7.2018)