Bedarf angepaßt sind, und den Ueberschuß zum größten Teil wiederum in bedarfsteigernde Produktion umzusetzen, fehlt hier wie dort die Selbstbestimmung der Arbeiter über die Verwendung ihrer Leistung. Damit entfällt zugleich die Berechtigung des Einwands, daß kapitalistische Arbeit, gleichviel ob eine Privatperson oder der Staat Auftraggeber sei, jemals dem gesellschaftlichen Nutzen untergeordnet wäre. Denn wo immer die Zuständigkeit von Auftraggeber und Beauftragten getrennt ist, kann von keinem gemeinschaftlichen Nutzen die Rede sein. Es trifft für den Staat in noch höherem Maße als für den privaten Unternehmer zu, daß in allen seinen Maßnahmen, zumal bei der Zuteilung von Arbeitsaufträgen, die Festigung seiner Stellung als Verfügungsmacht über die Arbeitsmittel leitender Beweggrund ist. Die Versorgung des Marktes mit lebensnotwendigem Bedarf ist in jeder Art Kapitalswirtschaft nur insoweit bestimmend, wie sie zur Stärkung dieser Machtstellung beiträgt. Wo das Vorrecht der Verfügung mit dem Bedürfnis des Volks in Widerspruch gerät, ist in allen Fällen, ohne Unterschied zwischen Privat- und Staatskapitalismus, die Versorgung der Gesamtheit benachteiligt.
Das Vorrecht muß also beseitigt werden. Es kann nur beseitigt werden, indem an die Stelle der Arbeitsregelung von oben die Selbstverwaltung der arbeitenden Menschen tritt. Selbstverwaltung ist nichts anderes als Selbstverantwortung Gleicher auf Gegenseitigkeit, nichts anderes als föderative Organisation anstelle zentralistischer. In welcher Weise die föderative Arbeits- und Verteilungsorganisation der kommunistischen Anarchie durch das Rätewesen, die einzig vorstellbare Form der wirtschaftlichen Selbstverwaltung, zu verwirklichen sein wird, soll im zweiten Abschnitt gezeigt werden. Hier genügt die Aufstellung des allgemeingültigen Satzes: eine Gesellschaft, in welcher die Beziehungen von Arbeit und Verbrauch, der Menschen untereinander und des gesamten geistigen und materiellen Verkehrs unter Wahrung der Gleichberechtigung, Selbstverantwortlichkeit aller und gegenseitigen Unterstützung geregelt werden sollen, verlangt für alle Verrichtungen föderalistische Verwaltung, das ist unmittelbare Verständigung der Beteiligten untereinander. Zentrale Verbindungsstellen dienen einzig den Zwecken der Buchhaltung und der Uebermittlung von Aufträgen, niemals solchen der selbständigen Amtsausübung und irgendwelcher vorgesetzten Behörde, deren vollständige Ausmerzung Voraussetzung aller Selbstverwaltung ist.
Der Versuch, mittels eines Uebergangsstaates vom Kapitalismus zum Sozialismus zu gelangen, ist durch das Wesen des Staates als anordnende Zentralgewalt zum Scheitern verurteilt. Die staatliche Ordnung beruht auf dem Verfahren der Uebertragung der öffentlichen Dienste auf eigens zu diesem Zweck aus der Gesamtheit ausgesonderte Beamte. Wollte nach dem Sturz der kapitalistischen Gesellschaftsordnung der Sozialismus seine Daseinsformen nach demselben Verfahren einrichten, so würde sich die Wiederholung des Vorgangs ergeben, der bei der Teilung der gesellschaftlichen Obliegenheiten in Landbebauung und Landverteidigung die Unterdrückung der werktätigen durch die waffentätigen Menschen, damit die Klassenschichtung des Volkes und folgerichtig die Enteignung der Gesamtheit durch die starkgemachte Minderheit, die Ausbeutung, den Kapitalismus herbeiführte. Die vom Ganzen losgelöste Verwaltung müßte, genau wie die Waffenführer der Frühzeit sich als Adel selbständig machten und das Volk, das sich ihnen anvertraut hatte, in ein Lehnsverhältnis zwangen, in kürzester Zeit Selbstzweck werden. Selbst unter den gegenwärtigen Zuständen, wo die Beamtenschaft sich in völliger Abhängigkeit von der viel stärkeren Macht der Eigentümer des Landes und der produzierenden Mittel befindet, strebt der Staat in eifriger Anstrengung danach, den Wettstreit der Kapitalisten mit obrigkeitlichen Eingriffen in verwaltungsrechtliche Bindungen zu bringen, während die Kapitalisten sich im Gegenteil über die Ländergrenzen hinweg föderativ vereinigen, sich demgemäß aus den zentralistischen Staatseinengungen zu befreien suchen und die gesetzgebenden und ausführenden Sachwalter des Staates, mit je mehr Vollmachten sie sie zur Niederhaltung der arbeitenden Klasse versehen, umso entschlossener darauf bestehen, daß sie sich auf die Ausübung der Justiz, Polizei und Abgabeneintreibung sowie auf die Sicherung der eigenen Herrschaft über das nichtbesitzende Volk beschränken. Die Enteignung des Privatkapitals zugunsten des Staates würde den Ertrag der Arbeit zwar in andere Kanäle leiten, aber nicht die Abhängigkeit der Arbeitskräfte von ausbeutenden Gewalten mindern, sondern nur die Abhängigkeit des Staates von anderen als seinen eigenen Machtbedürfnissen aufheben. Die Staatsverwaltung, die Beamtenschaft, der regierende Apparat würde sich immer ungeheurer aufblähen und wie jede Herrschaft die Neigung hat, sich zur unabsetzbaren und unablösbaren Dauermacht zu entwickeln, alle Tätigkeit mit erzieherischen und gewaltsamen Mitteln auf das Ziel richten, das Wohl der Obrigkeit als das wahre
Erich Mühsam: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Fanal-Verlag Erich Mühsam, Berlin 1933, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Befreiung_der_Gesellschaft_vom_Staat.djvu/14&oldid=- (Version vom 31.7.2018)