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das Verhältnis gleichberechtigter Gegenseitigkeit zerstört und damit den privaten Vorgang gemeinschädlich auf die Gesellschaft zurückwirken läßt.

Die religiösen Gebote und in ihren Spuren die Staatsgesetze haben das geschlechtliche Verhalten, das sich, sozial gesehen, für ihre Machtzwecke kaum verwenden ließe, der öffentlichen Moral insgesamt zugrunde gelegt; sie haben die Menschen gewöhnt, unter Sittlichkeit die Einordnung der sinnlichen Bedürfnisse in die vorgeschriebenen Beschränkungen zu verstehen. Nur so war es möglich, die autoritäre Ehe, die lebenslängliche Zwangsbindung zur Familie zur unbestrittenen Selbstverständlichkeit der privaten Lebensorganisation zu machen. Die Vatermacht im Hause gab der Priestermacht der Kirche, der Regierungsmacht im Staate, der Kapitalsmacht in der Oekonomie die moralische Weihe; sie konnte daher nicht strenge genug gewahrt werden. Dabei ist zwischen dem orientalischen Recht der Männer, beliebig viel Frauen zu heiraten und dem christlichen und europäischen Grundsatz der Einehe, kein Unterschied des Wesens sondern nur der Abstufung. Die Vielehe ist nur dem Mann erlaubt, sie ist also der krasseste Ausdruck der unbeschränkten Vaterautorität in der Familie und schützt den Mann auch im Geschlechtsleben vor jedem Dreinreden innerhalb seines Herrschaftsbezirks. In der Einehe ist zwar die Frau ebenfalls ganz der Befehlshoheit des Mannes unterstellt – die bürgerlichen Gesetzbücher, ebenso wie das Kirchenrecht weisen der Ehefrau noch in unsern Tagen die Rolle der gehorsam dienenden Untergebenen und zur widerspruchslosen Hingabe verpflichteten Bettgenossin des Gatten an –, aber durch das Verbot, sich mehr als eine Ehesklavin zu halten, steht in bezug auf sein Sinnenleben auch der Mann unter Aufsicht, ist seine Gottähnlichkeit in der Familie in einem Punkt eingeengt, und die Frau, was noch wichtiger ist, wird in sehr schmalem Raum ebenfalls als Machthaberin zugelassen, tränkt sich mit dem Stolz, irgendwo auch Autorität betonen zu dürfen und wird um so zuverlässiger die Kinder im autoritären Geiste erziehen und sich der Autorität des Mannes, der Kirche und des Staates unterwerfen.

Der Verzicht auf die amtliche Beglaubigung einer Ehe ändert natürlich am Charakter der Familie nur dann etwas, wenn die überkommene Moral des gegenseitigen Machtverhältnisses darin keine Auferstehung erlebt. Jede auf pflichtschuldige Fügsamkeit, auf Unterbindung der Selbstbestimmung und Verbot außerehelicher Beziehungen gegründete Verbindung trägt alle Wesenszüge der zentralistischen Obrigkeitsorganisationen, der Kirche und des Staates, in sich. Der Mann, der Familienvater verfügt über eine fast unbegrenzte Autorität, die ihm von den öffentlichen Gewalten ausdrücklich gewährleistet wird. Er hat das Züchtigungsrecht über Frau und Kinder, er vertritt sie vor den Organen des Staates, er bestimmt über Wohnsitz und Vermögen; ihm tritt auch kein Gesetz in den Weg, wenn er sie kapitalistisch ausbeutet. Nur das Leben der Seinen darf er nicht auslöschen; daran hat der Staat Anteil, der Arbeitskräfte braucht, um sie beherrschen zu können. Mit dieser Regelung der Familienrechte wird erreicht, daß der überall gefesselte Mensch in seinem engsten Lebenskreise selbst fesseln kann, ihm folglich die Schändung der Persönlichkeit durch jedwede Verknechtung nicht zum Bewußtsein kommt. Er gewinnt Geschmack am Zentralismus, da er selbst irgendwo Zentralgewalt ausübt. Für die nie ganz ausrottbare Sehnsucht nach Selbstverantwortung und Gegenseitigkeit wird ihm in seinem Heim eine von Staats wegen genehmigte Stätte überlassen, wenn auch die Gegenseitigkeit nur in der Befugnis der Gatten besteht, einander unter Polizeiaufsicht zu halten. Im übrigen wird die Gottähnlichkeit der Eltern den Kindern gegenüber durch kirchlich und staatlich verordnete Sittenlehren befestigt und durch die Verleihung des Erbrechts auch für die kapitalistischen Machteinflüsse nutzbar gemacht. Endlich aber wird durch die Einrichtung der in sich geschlossenen Familien ein Sippenstolz gezüchtet, der dieses verkleinerte Abbild des Staates immer wieder anspornt, sich in der Abkapselung mehr zu dünken als die Nachbarfamilie, was die Neigung in sich schließt, sich auf ihre Kosten zu bereichern. So wird jede föderative Gemeinschaft von unten auf schon in der gesellschaftlichen Keimzelle verhütet, das Streben nach allgemeiner Gleichberechtigung durch den Anreiz zum Geltungswettstreit unterbunden, die Grenzlinie zwischen den gemeinsamen Opfern einer größeren Macht verstärkt, der Gedanke der feindlichen Abgrenzung, ohne die es kein zentrales Gebilde geben kann, im Boden des privaten Machtinteresses der einzelnen verwurzelt. Mit dieser Eigenschaft jedoch, als umzäunte Burg selbstgerecht und selbstsüchtig sich mit ihren Zugehörigen gegen die anderen Sippschaften abzuschließen, erfüllt die autoritäre Familie ihre eigentliche Aufgabe, der heranwachsenden Jugend mit dem Familiensinn den Staatssinn, den Willen zur Macht des eigenen Staates, die Feindschaft

Empfohlene Zitierweise:
Erich Mühsam: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Fanal-Verlag Erich Mühsam, Berlin 1933, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Befreiung_der_Gesellschaft_vom_Staat.djvu/23&oldid=- (Version vom 31.7.2018)