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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg

sezte es sich vielmehr wieder an, sobald es abgefallen war, wie es einst der Mönch Simeon machte, der so lange auf einer Säule stand. Was sie von den unablässig ihr zuströmenden Leuten an Gaben empfing, entzog sie sich und vertheilte es unter die Armen Christi in reichem Maße, und sühnte dadurch die Sünden der Geber. Sie war voll Liebe gegen meine Mutter, und diese gelobte ihr fest, ihr Andenken auf ihre künftige Nachkommenschaft bringen zu wollen. Im Kampfe mit dieser schwankenden Welt ringend, enthielt sie sich alles Unerlaubten, nicht um einen vergänglichen Ruhm, sondern um die Krone himmlischen Lohnes zu erlangen, welche sie am 17. Februar zu erreichen vom Himmel gewürdigt wurde. In der Nacht aber, in der diese von Christo geliebte Leuchte auf die sterntragende Axe versetzt ward, schlief ich Sünder in unserem Schlafhause zu Magadaburg und sah (Gott sei mein Zeuge, daß ich nicht lüge!) im Traume vor Tagesanbruch zwei Chorknaben aus dem alten Schatzhause – welches damals noch dort stand – herauskommen und hörte, wie sie den folgenden Wechselgesang anstimmten: „Martinus geht hocherfreut ein in den Schooß des Abraham“ u. s. w. Die beiden Kinder verkündeten die doppelte Unschuld dieser Jungfrau [des Leibes wie des Geistes] und ihren Lohn. Dies alles bestand nämlich in ihrer Frömmigkeit und daß sie geistig arm und voll Demuth war, und sie machte sich würdig dessen was ihr zu Theil ward. Und das theilte ich damals gleich meinen geistlichen Mitbrüdern mit und sagte: „Seid überzeugt, daß jetzt eine gottgeliebte Seele diese Erdenwelt verläßt.“ Und sechs Tage nachher bekamen wir Nachricht, daß, wie ich es vorher gesehen hatte, diese wahrhafte Dienerin des Herrn aus dem Gefängnisse des Fleisches emporgegangen sei.


7. Jetzt will ich daran gehen, das Andenken meines geistlichen Mitbruders Bernari zu erneuern, der durch seine mir erwiesene Freundschaft meine herzliche Liebe und (wenn ihm das irgendwie nützlich sein kann) ein sorgsames Andenken verdient hat. Er war mein naher Blutsverwandter und mir – was noch mehr

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Thietmar von Merseburg: Die Chronik des Thietmar von Merseburg. Verlag von Franz Duncker, Leipzig 1879, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Chronik_des_Thietmar_von_Merseburg.pdf/366&oldid=- (Version vom 23.11.2023)