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Anonym: Edda

getragen. Und als sie gesotten waren, setzte sich Thor mit seinem Gefährten zum Nachtmal. Thor bat auch den Bauern, seine Frau und beide Kinder, mit ihm zu speisen. Des Bauern Sohn hieß Thialfi und die Tochter Röskwa. Da legte Thor die Bocksfelle neben den Heerd, und sagte, der Bauer und seine Hausleute möchten die Knochen auf die Felle werfen. Thialfi, des Bauern Sohn, hatte das Schenkelbein des einen Bocks, das schlug er mit seinem Meßer entzwei, um zum Mark zu kommen. Thor blieb die Nacht da, und am Morgen stand er auf vor Tag, kleidete sich, nahm den Hammer Miölnir und erhob ihn, die Bocksfelle zu weihen. Da standen die Böcke auf; aber dem Einen lahmte das Hinterbein. Thor befand es und sagte, der Bauer oder seine Hausgenoßen müsten unvorsichtig mit den Knochen des Bocks umgegangen sein, denn er sehe, das eine Schenkelbein wäre zerbrochen. Es braucht nicht weitläufig erzählt zu werden, da es ein Jeder begreifen kann wie der Bauer erschrecken mochte als er sah, daß da Thor die Brauen über die Augen sinken ließ, und wie wenig er auch von den Augen noch sah, so meinte er doch vor der Schärfe des Blicks zu Boden zu fallen. Thor faßte den Hammerschaft so hart mit den Fingern an, daß die Knöchel davon weiß wurden. Der Bauer gebehrdete sich, wie man denken mag, so, daß alle seine Hausgenoßen entsetzlich schrieen und Alles was sie hatten zum Ersatze boten. Als Thor ihren Schrecken sah, ließ er von seinem Zorn, beruhigte sich und nahm ihre Kinder Thialfi und Röskwa zum Vergleich an: die wurden nun Thors Dienstleute und folgten ihm seitdem überall.

45. Er ließ seine Böcke dort zurück und setzte seine Reise ostwärts nach Jötunheim fort bis an das Meer, fuhr dann über die tiefe See, und als er die Küste erreichte, stieg er ans Land und mit ihm Loki, Thialfi und Röskwa. Da sie eine Weile fortgegangen waren, kamen sie an einen großen Wald, durch den gingen sie den ganzen Tag bis es dunkel ward. Thialfi, aller Männer fußrüstigster, trug Thors Tasche; aber Speisevorrath war nicht leicht zu erlangen. Als es dunkel geworden war, suchten sie ein Nachtlager und fanden eine ziemlich geräumige Hütte. An einem Ende war der Eingang so breit wie die Hütte selbst: die wählten sie zum Nachtaufenthalt. Aber um Mitternacht entstand ein starkes Erdbeben, der Boden zitterte unter ihnen und die Hütte schwankte. Da stand Thor auf und rief seinen Gefährten; sie suchten weiter und fanden in der Mitte der Hütte zur rechten Hand einen Anbau: da gingen sie hinein. Thor setzte sich in die Thüre; die andern hielten sich innerhalb hinter ihm und waren sehr bange. Thor hielt den Hammerschaft in der Hand und gedachte sich zu wehren.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/286&oldid=- (Version vom 31.7.2018)