Anonym: Edda | |
|
Aber Skadi, des Riesen Thiassi Tochter, nahm Helm und Brünne und alles Hausgeräthe und fuhr gen Asgard, ihren Vater zu rächen. Da boten ihr die Asen Ersatz und Überbuße. Zum Ersten sollte sie sich Einen der Asen zum Gemahl wählen, aber ohne mehr als die Füße von denen zu sehen, unter welchen sie wähle. Da sah sie eines Mannes Füße vollkommen schön und rief: Diesen kies ich, Baldur ist ohne Fehl. Aber es war Niörd von Noatun. Das war auch eine ihrer Vergleichsbedingungen, daß die Asen es dahin bringen sollten, daß sie lachen müße; sie glaubte, das würden sie nicht zu Wege bringen. Da befestigte Loki eine Schnur an dem Bart einer Ziege und mit dem andern Ende an seine Lenden, wodurch sie hin und her gezogen wurden und beide laut schrieen vor Schmerz. Da ließ sich Loki vor Skadi in die Kniee fallen. Sie lachte und somit war ihre Aussöhnung mit den Asen vollbracht. Noch wird gesagt, daß Odhin ihr zur Überbuße Thiassis Augen nahm, sie an den Himmel warf und zwei Sterne daraus bildete. Da sprach Ögir: Ein gewaltiger Mann dünkt mich Thiassi gewesen zu sein; aber welcher Abstammung war er? Bragi antwortete: Älwaldi hieß sein Vater, und merkwürdig wird es dich bedünken, wenn ich dir von ihm erzähle. Er war sehr reich an Gold, und als er starb und seine Söhne das Erbe theilen sollten, da maßen sie bei der Theilung das Gold damit, daß ein Jeder seinen Mund davon voll nehmen sollte und Einer so oft als der Andere. Einer dieser Söhne war Thiassi, der andere Idi, der dritte Gangr. Davon hat die Redensart ihren Ursprung, daß wir das Gold dieser Jötune Mundmaß nennen, und in Runen und in der Skaldensprache umschreiben wir es so, daß wir es dieser Joten Sprache oder Rede nennen. Da sprach Ögir: Das dünkt mich in der Geheimsprache wohl angewandt.
57. Ferner sprach Ögir: Woher hat die Kunst ihren Ursprung, die ihr Skaldenkunst nennt? Bragi antwortete: Dieß war der Anfang davon, daß die Asen Unfrieden hatten mit dem Volk, das man Wanen nennt. Nun aber traten sie zusammen, Frieden zu schließen, und der kam auf diese Weise zu Stande, daß sie von beiden Seiten zu Einem Gefäße gingen und ihren Speichel hineinspuckten. Als sie nun schieden, wollten die Asen dieß Friedenszeichen nicht untergehen laßen. Sie nahmen es und schufen einen Mann daraus, der Kwasir heißt. Der ist so weise, daß ihn Niemand um ein Ding fragen mag, worauf er nicht Bescheid zu geben weiß. Er fuhr weit umher durch die Welt, die Menschen Weisheit zu lehren. Einst aber, da er zu den Zwergen Fialar und Galar kam, die ihn eingeladen hatten, riefen sie ihn beiseite zu einer Unterredung, und tödteten ihn.
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/306&oldid=- (Version vom 31.7.2018)