Seite:Die Edda (1876).djvu/341

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Anonym: Edda

Einleitung.

Daß die Götter des Nordens auch die unsern waren, daß beide Bruderstämme, der deutsche und nordische, wie Sprache, Recht und Sitte, so auch den Glauben im Wesentlichen gemein hatten, daß Odhin Wuotan ist und Thôr Donar, daß Asen und Ansen, Alfen und Elben, Sigurd und Siegfried nur andere Formen derselben mythischen Namen sind, darüber bleibt uns längst kein Zweifel. Wie kommt es denn, daß wir gegen die nordische Mythologie noch immer so gleichgültig thun als ob sie uns von Haut und Haar nichts anginge?

Möglich, daß wir eben darum von den nordischen Göttern nichts wißen und wißen wollen, weil sie die unsrigen sind, denn freilich ist das nur allzusehr deutscher Charakter, überall in der Welt, in Rom und Griechenland, in England und Spanien, in Arabien, Indien und China jeden Winkel zu durchstöbern, sich in jede Sackgaße zu verrennen und dabei im eigenen Hause wie die Blinden umherzutappen.

Hätte der Einleiter vielleicht gar klüger gethan, die Einheit der nordischen und deutschen Götter den Lesern zu verschweigen? Griffen sie lieber auch nach dieser Waare, wenn sie als ausländische dargeboten würde? Es ist freilich nicht unerhört, daß ein deutscher Dichter sein Werk, um es zu empfehlen, für Übersetzung aus dem Englischen oder Schwedischen ausgab. Und die Erscheinung, daß der mattherzige Ossian bei uns so viel Glück gemacht hat[WS 1], während die lebensvollen Gestalten des Nordens und alle Kraft und Tiefe der Edda verschmäht wurden, wie läßt sie sich anders erklären als aus der schon von Klopstock beklagten Undeutschheit der Deutschen? Sollten wir das mit den Juden des alten Bundes gemein haben, daß wir vor allen Götzen des Auslandes niedersinken und die heimischen Altäre unbekränzt laßen? Wenn uns dann nur nicht der Fluch dieses unseligen Volkes trifft, in alle Welt zerstreut zu werden und des Vaterlandes verlustig zu gehen! Ein Looß, das neuerdings auch ein edles europäisches Volk betroffen hat wegen eines andern Erbfehlers, der uns leider gleichfalls anhaftet, der Uneinigkeit. Dann wär unser Schicksal beklagenswerther als

Anmerkungen (Wikisource)

Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/341&oldid=- (Version vom 18.8.2016)