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Anonym: Edda

Hamdismal überraschend wieder auftritt. Diese und die beßern alten Lieder sind es allein, auf die ich Gewicht legen will. Ich rechne aber dahin von den Götterliedern besonders Wöluspa, Wegtamskwida, Thrymskwida, Harbardsliod, Hymiskwida und Skirnisför; von den Heldenliedern vor allen noch das Wölundurlied, die beiden von Helgi dem Hundingstödter, das Bruchstück (?) eines Brynhildenliedes und Brynhildens Todesfahrt; das andere Sigurdslied, Fafnismal und Sigurdrifumal nicht zu vergeßen, deren epischer Gehalt vielleicht noch aus Deutschland überkommen, im Norden aber stark mit Eddischen Zuthaten schon in alter Zeit versetzt ist. Wie knapp und abgerißen die Weise dieser alten Lieder sei, so scheinen sie mir doch in wildkühner Erhabenheit hoch über Allem zu schweben, was bis auf Goethes Faust eine moderne Literatur darbietet. Griechische maßvolle Ruhe darf man hier nicht suchen und eigentliche Schönheit, an die nur Thrymskwida rührt; aber dafür entschädigt der starke, unbeugsame Sinn des Nordens, dessen ungekünstelten Naturlaut wir in diesen Volksliedern vernehmen. Von den Mythen der jüngern Edda hat schon Grimm geurtheilt, daß sie uns reiner und ursprünglicher überliefert sind als selbst die griechischen.

Alles zusammengenommen ist die Edda ein unschätzbares Kleinod, das wir uns längst wieder hätten aneignen sollen. Denn uns gehört sie so gut wie den Dänen und Schweden, die sich gewöhnt haben, sie als ihr ausschließliches Eigentum zu betrachten. Aber die Göttersage war uns ursprünglich mit ihnen gemein und die landschaftliche Färbung und eigentümliche Ausbildung, die sie im Norden empfing, hebt unsern Anspruch nicht auf und wir sollten ihn um so eifriger geltend machen als sich von ihrer reindeutschen Gestalt nur so wenige Bruchstücke erhalten haben. Noch stärker ist unser Anspruch auf die eddische Heldensage, welche ihren deutschen Ursprung nicht verläugnen kann und noch in ihrer nordischen Gestalt durch die Hauptpersonen, die darin auftreten, und die Orte, wo sich die Begebenheiten zutragen, an Deutschland gebunden bleibt. „Die Sage kann,“ sagt W. Grimm, „wenn sie verpflanzt wird, Namen und Gegend völlig verändern oder vertauschen; erkennt sie aber in der Fremde die Heimat noch an, so liegt darin ein großer Beweis ihrer Abkunft. Der Grundstoff kam aus Deutschland, das Wort im weitesten Sinne genommen, herüber, und wahrscheinlich in Liedern, die in der Darstellungsweise den nordischen ähnlich waren.“ Neuerdings hat Jacob Grimm (Haupts Zeitschrift 1, 3) auch aus der unnordischen, deutschen Ursprung verrathenden Gestalt der Namen den Beweis geführt, daß „der Norden von unsern Vorfahren empfing was er uns rettete.“ Daß der Baldursmythus deutsch ist, beweist die Mistel,


Empfohlene Zitierweise:
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/358&oldid=- (Version vom 18.8.2016)