Anonym: Edda | |
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kein unverdienter: mit Beschränkung auf die echten Helgilieder möchten wir C. F. Köppens Urtheile über ihren Werth beitreten: „An epischer, wahrhaft homerischer Kraft und Fülle stehen diese Lieder allen andern Dichtungen der Edda voran. Andererseits aber weht in ihnen, namentlich in der Liebe zwischen Helgi und Sigrun, eine so unendliche Milde und Tiefe des innigsten Gemüthslebens, daß man nicht weiß, von welcher Seite man diese hohen Gesänge am lautesten preisen soll.“
Die Wölsungasaga hat den Inhalt unseres ersten Liedes aufgenommen, das zweite aber scheint sie nicht zu kennen. Auch von jenem giebt sie nur einen Auszug, während sie von Sinfiötli und seinem Vater Sigmund sehr ausführlich erzählt, nicht ohne Anführung einer Liederstelle, woraus wir schließen müßen, daß auch über diese Theile der Siegfriedssage Lieder vorhanden wären, deren Verlust zu beklagen ist.
Aus der Vielgestaltigkeit des Volksgesangs erklärt es sich, daß wir von der Helgisage zwei verschiedene und doch in einigen Theilen zusammenfallende Lieder besitzen. Sie erklären und ergänzen sich wechselseitig und der Leser wird gut thun, sie zu vergleichen. Am besten liest man nach dem ersten Abschnitte des ersten Liedes den ersten Abschnitt des zweiten. Was dann im zweiten Abschnitte des zweiten folgt, hat im ersten Liede keine Parallele, ja diese erste Begegnung Sigruns und Helgis scheint beiden Liedern zu widersprechen, denn nach St. 13 des zweiten sollte man nicht glauben, daß sie sich schon früher gesehen hätten ehe Sigrun Helgis Hülfe gegen Hödbroddr in Anspruch nahm (1. Lied Str. 16 bis 20 vgl. mit 2. Lied Str. 12–16). Wenn sich hier das zweite Lied auf das alte Wölsungenlied wie später auf das Helgilied beruft, so könnte damit nur unser erstes Helgilied (Str. 18 und 32) gemeint sein; Andere halten es für eine beiden Liedern gemeinschaftliche Quelle. Auch der Meinung Mones a. a. O. S. 108, daß das zweite Lied älter sei als das erste, würde mir jene Berufung entgegen zu stehen scheinen, wenn sich mehr darin ausspräche als die Meinung des Sammlers, welche die Lücken der Lieder durch seine Zwischenreden verband. Von Helgis Kampf mit Hunding ist in beiden Liedern nichts übrig als die Meldung, daß letzterer fiel (1, 10 und 2, 8); aber auch von der Schlacht bei Logafiöll, welche Helgi gegen Hundings Söhne gewann, erfahren wir 1, 13. 14 nur den Erfolg: den Fall der Hundingssöhne, deren Aufzählung Str. 14 durch den Aarstein seltsamlich unterbrochen wird, unter welchem Helgi ausruht. Unter dem Aarstein sitzen ist auch eine den Angelsachsen geläufige epische Formel, wie Grimm Andr. XXVII schon bemerkt hat; nur dürfte sie mehr dem kampfmüden als dem kampflustigen Helden
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/435&oldid=- (Version vom 31.7.2018)