Anonym: Edda | |
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Dieß und das folgende Lied, nach einer norwegischen Provinz grönländische genannt (wenn nicht S. Bugge (Edda S. 433) Recht hat, sie auf das amerikanische Grönland zu beziehen; vgl. auch K. Maurer in Zachers Ztschr. II, 442), behandeln ein großes, für sich bestehendes Stück der Sage, das ungefähr dem zweiten Theil der Nibelungen entspricht. Ganz unberührt ist es zwar auch in den bisher betrachteten Liedern nicht geblieben, da schon das zweite Gudrunenlied, doch mehr in der Weise der Prophezeiung als eigentlicher Darstellung, diesen Gegenstand behandelt hatte und selbst das dritte Sigurdslied in der Weißagung der Brynhild darauf zu sprechen gekommen war. Die Vergleichung mit dem Nibelungenliede ergiebt aber, daß letzteres von der auch in diesen Eddaliedern noch bewahrten ursprünglichen Gestalt der Sage darin wesentlich abgewichen ist, daß Kriemhild Siegfrieds Ermordung an ihren Brüdern rächt, während Gudrun umgekehrt für den Mord ihrer Brüder Blutrache an ihrem Gemahl nimmt und die eigenen Kinder, weil sie zugleich die seinen sind, nicht verschont. Diese Vertauschung des Princips freier Liebe gegen die Blutrache pflegt man dem Eindringen des christlichen Geistes zuzuschreiben. Vgl. jedoch Müllenhoff Zeitschr. X, 176 ff. Von diesem hätten sich also die Atlilieder noch frei erhalten, obgleich sie später sein werden als die bisher betrachteten, wie die verkünstelte, mit mythologischer Gelehrsamkeit prunkende Sprache, die Überfüllung des Maßes, die absichtlichere, ausführlichere Darstellung und die hervortretende Persönlichkeit des Dichters verräth. Bei Atlakwida besonders kommt noch hinzu, daß es schon mit der weitern Fortbildung der Sage in Deutschland Bekanntschaft zeigt. Während Hunland bisher Sigurds Heimat bedeutete, und nur einmal, Str. 26 des zweiten Gudrunenlieds, hunisch auf Atli bezogen scheint, vielleicht auch Str. 26 des ersten, heißen hier, mit Ausnahme von Str. 12, wo der alte Sprachgebrauch beibehalten ist, Atlis Unterthanen Hunnen und sein Land Hunnenmark; in Hunnenland soll jetzt Myrkwidr (der Schwarzwald) und die Gnitahaide liegen, deren Bestimmung die frühern Lieder nicht zuließen. Sogar wird Str. 16 und 42 von hunnischen Schildmägden gesprochen, als ob sie in Brynhilds Heimat dutzendweise zu finden wären. Nach den frühern Liedern war Welschland Budlis Erbe. Die Giukungen werden hier schon Niflungen, einmal sogar Burgunden genannt und selbst der Niflungenhort kommt als hodd Niflunga Str. 26 wörtlich vor. Der Hort ist wie in den Nibelungen in den Rhein versenkt, und nach Högnis Tod weiß Gunnar allein, wo er verborgen liegt (Str. 26. 27). Um ihn ist es Atli zu thun,
Karl Simrock (Hrsg.): Die Edda, die ältere und jüngere, nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, 6. Aufl., Stuttgart 1876, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Edda_(1876).djvu/459&oldid=- (Version vom 31.7.2018)