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schnellen Fortschritts auf ökonomischem, wie intellektuellem Gebiete waren.

Bald ist es die Befreiung der Kommunen, deren Errungenschaften – die Frucht der freien Arbeit freier Assoziationen – niemals wieder übertroffen worden sind; bald sind es die Bauernkriege, deren Folge die Reformation war und welche das Papsttum in Gefahr brachten; bald ist es jene Gesellschaft – frei für einen Augenblick –, welche auf der andren Seite des Atlantischen Ozeans von Männern, die des alten Europas müde waren, geschaffen wurde.

Und wenn wir die augenblickliche Entwicklung der zivilisierten Nationen beobachten, so sehen wir, wie sich in nicht mißzuverstehender Weise eine Bewegung entfaltet, die nicht mit Unrecht beschuldigt wird, die Wirkungssphäre der Regierung beschränken und dem Individuum mehr und mehr Spielraum schaffen zu wollen. Darin dokumentiert sich die gegenwärtige Evolution, allerdings noch durch eine Unmasse von Institutionen und ererbten Vorurteilen eingezwängt; wie alle Evolutionen, wartet auch sie nur auf die Revolution, um das alte hinderliche Gemäuer zu stürzen, um einen freien Aufschwung in der neuen Gesellschaft zu nehmen.

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Nachdem man lange Zeit vergeblich danach gestrebt hat, das unlösliche Problem zu lösen: das Problem, sich eine Regierung zu schaffen, „welche das Individuum zum Gehorsam zwingen könne, ohne jemals selbst der Gesellschaft ungehorsam zu werden“, sucht die Menschheit sich von jeder Art Regierung zu befreien und ihren Organisationsbedürfnissen auf dem Wege der freien Vereinbarung zwischen den Individuen und den Gruppen mit gleichen Zielen zu genügen. Die Unabhängigkeit der kleinsten territorialen Einheit wird ein dringendes Bedürfnis; das gemeinsame Uebereinkommen ersetzt das Gesetz und regelt – über die territorialen Grenzen hinaus – die Sonderinteressen mit Rücksicht auf ein allgemeines Ziel.

Alles, was man ehemals als Funktion des Staates angesehen hat, wird ihm heute streitig gemacht; man einigt sich viel leichter und besser ohne seine Einmischung. Wenn man die Fortschritte, die in dieser Richtung gemacht worden sind, studiert, so kommt man zu dem Schlusse, daß die Menschheit die Tätigkeit der Regierung auf Null zu reduzieren, daß heißt, den Staat, diese Personifikation von Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Monopolbesitz, zu beseitigen bestrebt ist.

Wir können schon eine Welt sehen, in der das Individuum, nicht mehr durch Gesetze gefesselt, nur noch gesellschaftliche Neigungen haben wird. Neigungen, die in dem von einem jeden von uns gefühlten Bedürfnisse, Hülfe und Mitgefühl bei seinen Nachbarn und ein Zusammenarbeiten mit ihnen zu suchen, geboren sind.

Gewiß, die Idee einer staatslosen Gesellschaft wird eine wenigstens ebenso große Gegnerschaft finden, als die politische Oekonomie mit einer Gesellschaft, in der es kein Privateigentum geben soll. Wir alle sind in Vorurteilen von der Notwendigkeit der Vorsehungs-Funktionen des Staates großgezogen worden. Unsere ganze Erziehung, vom Unterricht in der römischen Geschichte an bis zur Einweihung

Empfohlene Zitierweise:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Bernhard Kampffmeyer (Übersetzer): Die Eroberung des Brotes. Der Syndikalist, Berlin 1919, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Eroberung_des_Brotes.pdf/40&oldid=- (Version vom 21.5.2018)