wirkend, sich in einen nächtlichen Traum verfangen kann. Liebende schätzen ihre Zusammengehörigkeit auch ganz instinktiv nach diesem Einen ab: dem gegenseitigen geistigleiblichen Produktivwerden in sich selbst, das sie aneinander konzentriert und entlastet in gleicher Weise, wie es im Liebesakt von Körper zu Körper geschieht. Werden sie statt dessen den verdächtigen Lobpreisungen des andern allzu sachlich zugänglich, so gibt es schnell den bekannten unsanften Sturz aus den Wolken der Verhimmelung, den jeder erfahrenere Mensch für alle Verliebten kopfschüttelnd vorauszusagen pflegt, und wobei die arme Liebestorheit, soeben noch mit Goldflittern zur Prinzessin herausgeschmückt, sich als Aschenbrödel wiederfindet. Im Flitterkleid vergaß sie, daß nur die Dankbarkeit für des andern eigene Wesenbeseligung es ihr umhing, ja daß vielleicht, unbewußt, sogar immer etwas dran hängt von überreichlichem Gutmachenwollen jener erotischen Selbstsucht, die nur sich selbst darin feierte. Und die dazu zwischen sich und den andern, wie einen goldnen Schatten, das unfaßbare Geistergebilde stellte, das erst den Mittler darstellt von ihr zu ihm.
DAS EROTISCHE WAHNGEBILDE
NUN IST es interessant zu sehn, wie grade an diesem Punkt das Thema des Erotischen am stiefmütterlichsten behandelt wird. Allerdings enthält diese Geistesbeteiligung am Liebesrausch so viel – Rausch, so deutliche Symptome der Trunkenheit, daß kein Ausweg zu bleiben scheint, als sie auf romantisches Terrain abzuschieben, oder als einigermaßen pathologisch zu beargwöhnen. Dieser wunde
Lou Andreas-Salomé: Die Erotik. Frankfurt am Main 1910, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Erotik_(Andreas-Salome).djvu/21&oldid=- (Version vom 17.8.2016)