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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 14. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Blätter aus der Krisis.
Von Ludwig Rein.
Nr. 1.  Fabrikantenbrod.


Kein Stück Torte, nicht Marcipan und süßliches Biscuit, – ein Stück Fabrikantenbrod, genommen aus dem Schranke der Gegenwart, tische ich hier auf für die Leser.

Die Namen des Ortes und der Personen thun nichts zur Sache, – sie werden verändert oder gar nicht ausgeschrieben stehen. Genug, daß die Sache nicht erfunden ist. Die gesunde Kost ist jeder Zeit mehr werth, als der Küchenzettel, und mancherlei Rücksichten bestimmen mich, den Küchenzettel zu fälschen und nur die Kost im Auge zu behalten.


In einem s–schen Fabrikdorfe qualmten die Schornsteine, welche hoch emporragten über die Gebäude des umfangreichen Etablissements. Es war kurz nach der Leipziger Ostermesse vorigen Jahres. Ein gar reges Leben herrschte in den Arbeitssälen, auf dem Hofe, auf der anstoßenden Wiese, auf welch letzterer sich eine Reihe von Tuchrahmen befand. Zwischen Wiese und Hof lag ein hübscher Garten, und hier saß der Fabrikant, Herr L., in der Laube. Der alte Herr – so wollen wir ihn nennen – hielt eine der ersten Nummern des „Ernst Heiter“ in der Hand, welche Zeitschrift, redigirt von Adolph Glaßbrenner, damals seit etwa einem halben Jahre in’s Leben getreten war.

Der alte Herr senkte die Hand mit dem Zeitungsblatte nieder auf sein Knie. Nachdenklich erhob er die Hand wieder und las lächelnd von Neuem. Er stand dann auf, verließ die Laube, schritt auf dem Sandwege des Gartens hin und her, – aber das Zeitungsblatt ließ er nicht aus seiner Hand.

„Der Mann hat vollkommen Recht,“ sprach er dann vor sich hin, „er trifft den Nagel auf den Kopf, – Papiere, Noten, Banken, Zettel, Lumpen, Schwindelthum!“

Er schritt wieder in den Gängen sinnend auf und ab. Dann und wann nahm er das Blatt vor die Augen und las laut:

„Heil dir, mein Deutschland! Nicht im Siegeskranze
Des blutgetränkten Lorbeers strahlest du;
Auch nicht im goldnen, nicht im Silberglanze
Der Bürgerwohlfahrt pflegst du fauler Ruh’!
Du schreitest vorwärts über alle Schranken,
Machst in Papieren und in Noten kühn;
Heil dir, mein Deutschland! Du bist reich an Banken,
Und deine Zettel, deine Lumpen blüh’n!“

„Gefeiert Reich der Denker einst und Eichen,
Du hast die alten Banner keck verbrannt;
Du siehst der Geistesmacht Gespenster schleichen
Mit gierem Blick durch dein zersplittert Land,
Doch hebst du nicht gleich wildem Leu die Branken,
Sie zu verjagen; wer wird sich bemüh’n
Um Licht und Wissen? Du bist reich an Banken,
Dem Himmel Dank, und deine Zettel blüh’n!“

Er schüttelte heftig mit dem Kopfe und las einige Zeilen leise. Sein Inneres war sichtlich erregt, als er nach einigen Minuten laut fortfuhr:

„Armin und Nibelungen, Hohenstaufen
Und Luther und die große Dichterzeit,
Das ist vergess’ner Kram jetzt, wo wir laufen
Papierbepanzert in der Fixer Streit!
Vergess’ner Kram die Schwerter auch, die blanken
Des Jahres Dreizehn und ihr Flammensprüh’n!
Was Freiheit! Pah! Gefesselt an die Banken,
Genügt es uns, daß ihre Zettel blüh’n!“

„Die deutsche Einheit, lang umsonst erbettelt,
Sie ist errungen in dem Schwindelthum;
Sie ist errungen, wird dabei verzettelt
Auch Freiheit, Ehre, Zukunft, Stolz und Ruhm!
Für solche Faxen, Deutschland! laß die kranken,
Und pauvern Dichter immerhin erglüh’n!
Komm selber außer Cours – doch laß die Banken,
Der Menschheit höchstes Interesse, blüh’n!“

„Der Mann hat vollkommen Recht,“ wiederholte er, „aber nicht Deutschland nur dreht sich im Schwindelthum, ganz Europa tanzt mit, und Amerika macht die Musik dazu.“

Langsamer wurden seine Schritte, oft blieb er stehen und sah hinauf nach den Vögeln, welche in dem Frühlingslaub der Obstbäume und weiter draußen in den frischgrünen Zweigen der hohen Pappeln singend ihre Arbeit trieben beim Nesterbau.

„Da lobe ich mir euere Musik!“ fuhr er fort, „ihr spielt nicht zu einem Schwindelthum auf, ihr folgt nur dem einfachen Gesetz der Natur. Da ist nichts Ueberstürztes, nichts Widernatürliches, ihr bauet ein einziges Nest, legt einige Eier, brütet und freuet euch. Ja was sollte auch werden, wenn es jedem Vogel einmal einfiele, zehn oder zwanzig Nester zu bauen, sie alle mit Eiern zu belegen, – wie, wie,“ unterbrach er sich, „nun, das Bauen möchte gehen, vielleicht auch das Eierlegen – aber das Brüten, das richtige Ausbrüten – Schwindelthum!“

Er schwieg, denn Hufschlag drang vom Hofe her. Da sah

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_185.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)