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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

der alte Herr hinüber. Sein Sohn Karl war es, der aus dem benachbarten Städtchen kam, in welchem er mit dem alten Herrn eigentlich wohnte, doch so, daß Beide wochenweise abwechselten in dem nächtlichen Aufenthalt auf dem Etablissement.

„Karl, ich bin im Garten!“ rief der alte Herr, wahrend Jener den feinen Schimmel, auf welchem er gekommen, einem Arbeiter übergab, und dann zu seinem Vater eilte.

„Briefe gekommen?“ fragte der Alte.

„Mehr als ein Dutzend! Hier, Vater! Neue Bestellungen, neue bedeutende Aufträge!“

„So so, auch Geld, wie ich sehe, Zettel, nach drei Monaten zahlbar, – auch Briefe von den Maschinenbauern, – schriebst Du bereits an die Maschinenfabrik? Da sie antwortet, nehme ich’s an.“

„Ja, Vater, ich that es. Du siehst ja auch aus den heutigen neuen Aufträgen, wie nöthig es wird, unser gangbares Zeug zu vergrößern, ja, zu verdoppeln. Wenigstens müssen wir den Plan annehmen, wie ihn die Maschinenfabrik uns vorschlägt, – zwei Drittel gangbares Zeug mehr, dazu eine Dampfmaschine von zwanzig Pferdekraft; die Hälfte der nöthigen Räume für die neue Anschaffung haben wir, die andere Hälfte wird gebaut; willigst Du ein, so stimmen wir dem Plane bei, und noch heute bestelle ich Maurer und Zimmermann.“

Der alte Herr blickte lächelnd nach den Vögeln auf den Bäumen.

„Die bauen auch,“ sagte er ruhig, „aber sie sind nicht ergriffen von einem Schwindelthum. Hier, Karl, lies einmal dieses Zeitungsblatt, lies dieses Gedicht, lies es langsam, lies es zwei Mal, – ich will unterdessen die Briefe durchgehen.“

Vater und Sohn schritten neben einander auf dem Sandgange hin und her. Nach einigen Minuten erklärte der alte Herr:

„Ich bin fertig.“

„Ich ebenfalls,“ antwortete der Sohn.

„Und das Gedicht, wie gefällt Dir’s?“

„Als Kunstproduct gut, als Wegweiser für’s Geschäftsleben schlecht, sehr schlecht. Der Dichter erkennt die Zeit nicht, begreift die Gegenwart nicht. Wie ist jetzt Alles anders geworden auf dem Boden des gewerblichen und mercantilen Lebens! Mein Gott, wer wird mit einem so alten, verbrauchten Maßstabe die Gegenwart messen? Großartiger Bedarf überall, großartiger Aufschwung überall, – großartige Production darf da nicht fehlen.“

„Auf solidem Boden, richtig!“ fiel der alte Herr ihm in’s Wort, „der aber fehlt, das Ganze beruht auf Schwindelthum!“

„Schwindelthum, Vater, ich bitte Dich!“

„Papiere, Noten, Banken, Zettel, Lumpen!“ rief warm der alte Herr, „der Dichter hat Recht! Da sieh doch, Karl, warum schicken uns die Leute wieder Papiere, zahlbar nach drei Monaten? Warum schicken sie nur die Hälfte der Summe, welche sie uns schulden? Ja, ja, sie machen neue, großartige Bestellungen, aber wenn der Bedarf so bedeutend ist, warum denn die Zahlung für frühere Sendung nur halb, warum nicht ganz und voll? Warum die Hälfte auch noch in solchen Zetteln und Lumpen?“

„Aber Vater, der ganze Geschäftsgang basirt jetzt –“

„Auf Schwindel! Laß uns vorsichtig sein, Karl, glaube mir, so geht’s nicht fort, wie es jetzt geht! Auch ich begreife die Zeit, in welcher wir stehen.“

„Vater, wie könnte ein Gedicht mich so in Eifer bringen!“

„Glaubst Du, das habe das Gedicht allein gethan? Wer Augen und Verstand besitzt, sah ja längst, daß das Geld- und Papierschwindeln geradezu ein Erwerbszweig geworden. Oder hat das traurige Börsenspiel mit Scheinkäufen, mit den Lieferungen zu bestimmten Zeitfristen einen soliden Grund? Man kauft jetzt täglich Millionen für Millionen – und Niemand besitzt sie, Niemand kann sie bezahlen. Weißt Du nicht, daß man jüngst an der Berliner Börse in drei Wochen mehr Spiritus verkaufte, als ganz Preußen in fünfzig Jahren zu erzeugen vermag? Nicht viel anders in Leipzig – denke an die Scheingeschäfte mit Oel; noch toller in Stettin – denke an die Getreidespeculation, vor Allem aber denke an den verderblichsten aller Schwindel, an den Schwindel in Actien!“

„Allerdings ist die Speculation in Actien sehr verlockend,“ bemerkte Karl, „es wird da oft Reichthum ohne Mühe in kurzer Zeit gewonnen; aber das paßt Alles nicht auf uns, Vater, nicht auf unser Geschäft. Wir sind nicht ergriffen von der Sucht, in wenigen Stunden ohne Arbeit reich werden zu wollen; wir beabsichtigen nur, vernünftigerweise zu thun, was unsere Concurrenten thun, nämlich das Geschäft zu erweitern durch Vergrößerung des Etablissements.“

„Wir sind nicht ergriffen, Karl, von der Sucht, in wenigen Stunden ohne Arbeit reich zu werden,“ wiederholte langsam der alte Herr, „aber dennoch wird die Folge des Schwindelthums auch uns ergreifen. Schon sind wir wider Willen hineingeködert worden in den Papierkram. Wir konnten und können nicht ausweichen, das sehe ich ein. Aber ich sehe auch ein, wie dieser Papier- und Zettel- und Lumpenkram gleich einer Kette sich durch die ganze Geschäftswelt zieht, hinüber bis nach Amerika, wohin der größte Theil unserer Waaren geht. Laß in dieser Papierkette nur einige derbe Brüche entstehen – dann reißt sie uns vorwärts und rückwärts – und wir, Karl, wir sind immerhin ein Glied in der Kette – ein Papier reißt das andere, das größere Haus stürzt das kleinere um – – also besonnen, besonnen, Karl!“

„Aber vorwärts müssen wir doch!“ behauptete Karl entschieden. „Wir werden ja die Bestellungen nicht zurückweisen, werden den sichern Gewinn doch nicht Andern überlassen? Vater, es liegt viel Wahrheit in der gewöhnlichen Redensart: „„die Menge muß es bringen!““ Wenden wir die Redensart an im bessern Sinn auf unser Geschäft – Vater, was läßt sich da in der Gegenwart ausführen!“

Der alte Herr schwieg und sah nach den Vögeln auf den Bäumen.

„Was ist Dein Beschluß, Vater? sage mir ihn kurz und rund,“ bat oder forderte der Sohn.

„Kurz und rund?“ fragte gespannt der alte Herr. „Du kommst mir erregt vor, Karl, was hast Du? Ueberhaupt – ich weiß nicht – Du trägst Dich heute fein, trägst den besten Frack und Hut –“

„Sollst Alles erfahren, Vater – auch auf den Schimmel ließ ich das beste Reitzeug legen, – aber Deinen Beschluß –“

„Wolltest ihn haben kurz und rund? Wohlan denn, Karl, so höre ihn. Aus dem Bau neuer Säle und aus der Anschaffung neuer Maschinen wird nichts! Auf die übrigen Briefe die Antwort: daß wir die Aufträge ausführen würden, wenn man uns die Ablieferungsfrist um ein Jahr verlängern wolle.“

„So höre auch mich, Vater,“ erwiderte bestimmt, aber nicht ohne kindlichen Ausdruck der Sohn. „Es wird gebaut, das Etablissement erhält die Erweiterung ganz nach dem vorliegenden Plan, unser Geschäft nimmt einen großartigen Aufschwung! Du selbst, Vater, sollst keinen Thaler dabei wagen, das neue Unternehmen geht auf meine alleinige Rechnung.“

„Auf Deine Rechnung? Flüchtige Improvisationen!“ antwortete lächelnd der alte Herr. „Auf Deine alleinige Rechnung – nun ja, bei der heut zu Tage üblichen Methode, Geld zu machen, – und das wirst Du nicht wollen, Karl!“

„Nein, Vater, nein, das will ich nicht – aber einen Ritt will ich thun, einen Ritt, an welchen sich Geld, Glück, Geschäfte knüpfen! Vater, ich habe das Jawort von Fräulein Cölestine! Siehst Du, das ist von ihr!“

Aus der Brusttasche des feinen modernen Fracks zog er ein Sträußchen, bestehend aus Aurikeln, Maiblumen, grünen Blättern, und hielt es dem Vater vor die Augen.

Der alte Herr stand freudig erschrocken.

„Karl, Karl,“ hob er nach einer Weile an, „ja, wenn das wäre, – dann allerdings, – Vierzigtausend hat Fräulein Cölestine als Erbtheil von ihrer verstorbenen Mutter, – und wenn der Vater – höre, Karl, diese Methode, Geld zu machen, ist zwar auch nicht die beste, aber besser, weit besser doch, als jene Papiermethode mit Schwindel. Warum soll man es dem reellen Geschäftsmanne verdenken, eine reiche Heirath zu thun! Immerhin, Karl, immerhin! Wenn Du Deiner Sache gewiß bist, – ich weiß es nicht, freilich trittst Du auf als der einzige Sohn und einzige Erbe eines wohlhabenden Vaters, bist ein stattlicher junger Mann, – aber – nun, Du mußt selbst am Besten wissen, wie weit Du gekommen, wie viel das Jawort Cölestinens Dir gelten darf.“

Der alte Herr nahm den Sohn an der Hand, er führte ihn in die Laube, während er weiter sprach:

„Ich weiß wohl, Karl, daß Du seit Jahr und Tag öfter

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