Seite:Die Gartenlaube (1858) 242.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Iffland bog den Kopf des schönen Jünglings zu sich hinan, blickte in die dunklen, von Thränen blitzenden Augen, und sagte dann mit einer Ruhe und Würde, wie ein Hoherpriester:

„Ich sage, es ist nicht, es darf nicht sein! Und nun ruhig.“

„Ich werde eilen, den Cameraden aufzusuchen, aber die Caserne ist so weit!“

„Geh’ an die Luft, das heiße Zimmer paßt nicht für Dich! Stelle Dich an den Ausgang, wo die Wagen der Schauspielerinnen halten, da muß sie kommen!“

„Ach, sie kommt zu Fuße!“

„Gut, so kommt sie zu Fuße – geh – geh! Ich muß meine Uniform anziehen!“

„August, Du siehst mich entweder mit ihr wieder, oder nie. Dieser Abend entscheidet über Tod und Leben.“

„Nun, nun!“ murmelte Iffland, „junges Blut, tolles Blut!“

Er drängte ihn sanft zur Thüre hinaus. Als er allein war, gab er sich dem Eindrucke hin, den jene Andeutungen auf ihn gemacht; sie hatten seine Ruhe völlig zerstört und ihn in Angst und Schrecken gesetzt. Er kannte den General Xavier, er wußte, wessen dieser dreiste und freche Verführer fähig war, und so wenig er vor dem unglücklichen Jünglinge von diesen schrecklichen Befürchtungen kund werden ließ, um so offener gestand er sich jetzt selbst, daß jene dunkeln Gerüchte, die dem Geliebten zu Ohren gekommen, leider nur zu wohl begründet sein könnten.

Die Stunde schlug, wo das Stück beginnen sollte. In welchem Tumult, in welchem Aufruhr befand sich die Seele dessen, dem die Ehre und der Ruhm dieses Tages galt, und der sich Angesichts der Gefahren, in denen sich seine theuren Schützlinge befanden, völlig außer Stande fühlte, sich vor dem Publicum zu zeigen. Anton’s bleiches Gesicht, seine Thränen, der bange Kuß, den er wie zum ewigen Lebewohl ihm gegeben, es schnitt in seine Seele, und der sonst so sichere und feste Mann war dem Umsinken nahe, so heftig hatte sich der Schrecken seines Gemüthes bemeistert. Er trat, gepudert und geschminkt, vor das kleine Fenster und sah in die Nacht hinaus. Ein klarer Sternenhimmel hatte sich über die Erde gebreitet. Unwillkürlich faltete er seine Hände:

„Herr des Himmels!“ hauchte er leise, „hier steht ein alter Komödiant, ein Possenreißer, eines deiner unnützesten und entbehrlichsten Kinder, aber er bittet Dich, geh’ nicht mit ihm in’s Gericht. Raube ihm nicht, was er Liebes auf Erden hat, nimm ihm nicht das klare Auge, die frische Wange seines Lieblings, entziehe ihm nicht das schöne, gefühlvolle Mädchen, dessen Glück zu machen der alte Komödiant eben auf dem Wege ist. Sieh, lieber Gott, nur dieses eine Mal auf diesen alten Tempel der Musen herab, auf dieses Häuflein geschminkter Herzen und Wangen, auf diese kleine Rotte Thoren und Kinder, und erbarme dich des Elendesten unter all diesem Volke, erbarme dich deines Knechtes, des Theaterdirectors, und gib ihm nur heute Abend keines deiner bittern Trauerspiele zu kosten, die du zur Prüfung von uns armen Seelen so trefflich zu dichten und in Scene zu setzen verstehst!“

Das Glöcklein des Soufleurs läutete.

„Ich komme schon!“ stöhnte Iffland. „Ich komme schon. Ach, reißt mich nur nicht bei den Haaren herbei!“

Er hielt inne, und lauschte auf die Straße hinab, ob unter dem Geräusch der heranrollenden Wagen nicht vielleicht einer sei, der seitwärts zur Garderobenthüre abzöge. Aber es bog kein Wagen ab.

Das Glöcklein des Soufleurs läutete nochmals.

Iffland nickte still mit dem Kopfe. Sein Diener stürzte herbei: „Herr Director – Herr Director! Die Leute fangen schon an zu trommeln und zu scharren.“

„Ich komme schon!“ flüsterte Iffland so leise, als ginge der Wind unter Blumenblättern.

Friederike trat ein – ach, nicht die Friederike, auf die jetzt drei Herzen so stürmisch warteten – die Surrogat-Friederike. Sie kam, um sich gleichgültig ihren künftigen Schwiegervater anzusehen. „Herr Director,“ sagte sie, „man will, daß angefangen werde.“

„So laßt denn den Vorhang aufziehen!“ stöhnte Iffland.

Er hielt sich, einer Ohnmacht nahe, an die Lehne des Stuhles, auf dem die falsche Friederike saß und eine Bandschleife, die sich gelöst hatte, wieder am Mieder befestigte. Ach – auf sie, auf diese falsche Friederike wartete Niemand; Niemand hatte die Absicht, sie zu entführen, und um ihretwillen ging kein junger Soldat dicht am Ufer der Spree, um eine Stelle zu finden, wo er unbemerkt und sicher sich den Tod holen konnte. Die falsche Friederike lebte ihre Tage in großer Ruhe dahin.

Der Vorhang war aufgerollt. Man hörte aus der Entfernung Rudolph und Mathes sprechen, dann die Stimme Anton’s. Es folgte der dritte Auftritt, wo Rudolph und Anton zu sprechen hatten, dann der vierte Auftritt mit der Oberförsterin und nun – mußte der Oberförster heraus. Iffland ermannte sich, und überschritt festen Trittes die Schwelle des Garderobezimmers. In seinem Antlitz war ein Trotz gegen das Schicksal bemerkbar. Er ging still und groß in seinem Schmerze dahin. Wie die Lampen ihm entgegenblitzten, fühlte er, daß der Schauspieler in ihm erwachte. Alles Andere schwand auf einen Moment so, als wäre es gar nicht da. Es war die Macht der Kunst, die ihn über das Mißgeschick des Lebens erhob. Sie erhob ihn, allein sie vermochte nicht, ihn auf die Länge zu halten; mitten in seinen Reden auf der Bühne ertappte er sich, auch auf die Worte hinter der Bühne gelauscht zu haben, und zum ersten Mal während seiner Kunstlaufbahn fehlte ihm der richtige Ausdruck, die passende Gebehrde. Zum Glück für ihn war die Schauspielerin, die die Oberförsterin gab, eine treffliche, sichere und gewandte Künstlerin, sie brachte durch das Feuer und die Wahrheit, mit der sie die gutmüthige und polternde Alte gab, ihren Mitspieler immer wieder in das Geleise zurück, aus dem er sich entfernt hatte. Einmal sogar schaltete sie aus freien Stücken ein „Wie ist Dir, Väterchen, Du hörst mich so zerstreut an?“ sehr passend in die Rede ein. Die Scene mit dem Schulzen schleppte sich nur eben hin, und schon fing im Publicum ein bedenkliches Murren an, sich laut zu machen. Iffland war entschlossen, den Vorhang fallen und sich als unwohl entschuldigen zu lassen, da erscheint im achten Auftritt die Oberförsterin und mit den Worten: „da bringe ich Dir Dein Riekchen! Dein Goldmädchen!“ führte sie die wirkliche Friederike dem einen lauten Freudenruf Ausstoßenden in die Arme.

Nie war wohl ein Wiedersehen auf der Bühne so täuschend gegeben worden, und der Ausruf Ifflands: „Mädchen!“ und die darauf folgende innige Umarmung war so voll des glühendsten und wahrsten Lebens, daß das ganze Theater in einen Beifallsruf zusammenrauschte. Iffland’s gar nicht im Texte befindliche Frage: „Mein Gott, welch einen Kummer hast Du uns verursacht? Wo – wo warst Du? Laura hat Dich überall gesucht!“ wurde vom Publicum überhört, und schnell besonnen setzte die Oberförsterin ihr „Gewachsen, einen ganzen Kopf gewachsen!“ hinzu. Iffland lächelte und sagte nun in seiner Rolle: „Hast Du denn Deinen Alten wohl nicht vergessen?“ und Friederike antwortete ebenfalls aus voller Seele mit den Worten ihrer Rolle: „O Gott, können Sie mich das fragen?“

Alles war jetzt in Ordnung und ging seinen regelmäßigen Gang fort. Iffland spielte vortrefflich. Seine Freunde, die ihn in seinen besten und interessantesten Rollen gesehen, gestanden sich, daß sie noch nie solches Feuer, solche Wahrheit in seinem Spiele gefunden. Das machte, er spielte mit voller, glücklicher Seele. In den Zwischenacten hatte die Präsidentin ihm Alles erklärt, ihn von dem kleinsten Umstände der Rettung Sophiens in Kenntniß gesetzt. Er bestand darauf, Florinen zu sehen; sie hatte sich aber entfernt und es war auch jetzt keine Zeit, nach ihr zu schicken. Anton stürmte heran; auch er mußte fern gehalten werden, wenn Friederike ihre Rolle bis zu Ende spielen sollte. Mit welchem Haß, mit welcher Wuth sah der junge Soldat, hinter den Coulissen stehend, seinen Stellvertreter, den Pseudo-Anton, an, der die Geliebte in die Arme schließen durfte, von ihren Lippen das Bekenntniß der Liebe nahm, sie vor all’ dem versammelten Volke die Seine nennen durfte. Iffland zähmte das Feuer des Jünglings, indem er ihm lächelnd zuflüsterte:

„Warte nur, was der ihr da vor Aller Augen und beim Scheine von tausend Lampen sagt, wirst Du ihr weit besser in der Stille der Nacht, im verschlossenen Kämmerlein sagen. Sei jetzt Zuschauer, um später desto besser Schauspieler zu sein! Und wer zuletzt lacht, lacht am besten!“

Laura zog ihren Freund bei Seite und machte ihm scherzend Vorwürfe, daß er ihren Namen unnütz in das Spiel gemischt, und Iffland erwiderte, indem er an ihr rundes Kinn faßte:

„Seid nur still, Frau Oberförsterin! Wenn Ihr mir den Kopf warm macht, so bringe ich Euch, gute Frau, selbst auf’s Theater, Ihr mögt wollen oder nicht.“

Das Stück erreichte sein Ende. Noch ehe der Vorhang ganz

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_242.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)