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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Die Geschichte eines Irren.
Aus J..a.
I.

„Mutter, Du trugst sie wohl auf unserem Hochzeitgange? Ich hatte sie selbst heimlich angefertigt, es war ein Art Meisterstück, das ich freiwillig mir auferlegte – denn wir Goldschmiede haben eine freie Kunst und brauchen kein Zunftstück zu machen. Ich legte sie Dir selbst plötzlich um den frischen Nacken. Alle Hochzeitsgäste kamen herbeigesprungen, die schöne Kette zu bewundern, wie sie in der Morgensonne glitzerte. – Ich sah Dir in die Augen, da glitzerte auch etwas, edler und reiner, als das Gold des Geschmeides, das war eine Thränenperle, eine Freudenzähre, welche Dir in dem Auge stand. Ich küßte sie Dir weg, – o, ich weiß es noch wie heute! Es war der letzte glückliche Augenblick. Von Stund’ an zog das Unglück über die neue Schwelle, immer finsterer, immer düsterer – jetzt steht es uns knapp hinter den Füßen und droht, uns jeden Augenblick niederzuschmettern. Nimm die Kette, das treubewahrte Kleinod, und hänge sie hinaus in den leeren Laden, damit doch noch etwas drin hängt. Hätten sie freilich lieber aufbewahrt für die Schwiegertochter, die uns unser Heinrich einmal in’s Haus bringen wird, aber – Noth bricht Eisen.“

Die Frau des Goldschmieds – denn es war der Goldschmied Hartmann im freundlichen Städtchen W., welcher dies sprach – hatte für diese Worte, wie für ähnliche seit längerer Zeit nur Thränen, schwere, langsam rieselnde, von tiefen Seufzern unterbrochene Thränentropfen. Stumm stand sie vom Stuhle auf, holte aus einem verschlossenen Schreine die Hochzeitskette und hing sie im Laden auf.

„Ich will ja Alles gern opfern und wenn’s zuletzt an mein Herzblut gehen sollte, wenn nur das Geschäft unserm einzigen braven Sohne, unserem Heinrich, erhalten wird,“ sagte sie endlich gefaßter.

„Das ist’s eben, Mutter, was mir so an die Seele geht. Wenn wir Beide allein wären, ohne Kind, so könnten sie uns meinethalben noch heute aus unserem Hause hinauswerfen auf die Straße. Die Unbarmherzigen – sie möchten Alles versiegeln und verkaufen, wir zögen dann Beide bettelnd, aber getrosten Muthes von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, bis sie uns, wenn wir des Lebens überdrüssig wären, einmal in einem Flusse auffischten, aber so müssen wir bleiben, müssen uns wehren bis auf den letzten Blutstropfen, denn es ist unsere Pflicht, wir sind es unserem Kinde schuldig.“

„Wie’s ihm wohl jetzt gehen wird in der Fremde?“ sprach die Mutter.

„Ihm geht’s wohl! Er hat einen braven Meister. Ich kenne den Mann von früher her. Ihm geht’s wohl. Er ahnt nichts von dem Unglücke zu Hause. Mag’s ihm auch nicht schreiben, so sauer es mir auch ankömmt, ihm vorlügen zu müssen, es stände Alles gut.“

Dieser abgelauschte Dialog hat uns einen kurzen Einblick in die Verhältnisse der Goldschmiedsfamilie gewährt. Sie sind traurig. Der alte Kampf der menschlichen Combination mit der der äußern Verhältnisse war hier zu keinem harmonischen Abschluß gekommen, vielmehr lief er zu immer weiteren Dissonanzen aus. Die Verhältnisse drohten, jener spottend, den Sieg davon zu tragen. Der Goldschmied hatte sich als Fremdling in dem Städtchen, was ihm durch die Liebe zu seiner jetzigen Frau zur neuen Heimath geworden war, nicht ohne Schwierigkeit und unter sehr ungünstigen Verhältnissen niedergelassen. Ueber alle Bedenklichkeiten ließ ihn die Liebe nur zu leicht und schnell hinwegsehen und seinem redlichen Muthe und seiner Arbeitslust schenkte er ein zu großes Vertrauen. Er ließ sich von der Schuldenlast, die er durch den Ankauf der Concession und des Hauses sich aufbürdete, nicht abschrecken. Er meinte, die übernommenen Hypotheken schon bald zurückzahlen zu können, denn er „hatte etwas gelernt“ und in seinen Händen ein reiches Capital, das nie abnehmen könne, sondern stets wachsen müsse.

Im Anfange, unter der Aegide der Hoffnung, ging in der That Alles recht wohl, trotzdem daß die Concurrenz bedeutend war und der Neuling wenig Kunden hatte wegen Mangel an „Connexionen“. Aber auch die Hoffnung ist keine ewige, sie muß immer von Zeit zu Zeit Nahrung haben, um immer wieder neu fortleben und ihr gesegnetes Kind, den Muth, erhalten zu können. Als diese Nahrung immer mehr ausblieb, als die hereinbrechende Noth der Zeit auch die Nachfrage nach den theuren Luxusartikeln des Goldschmiedladens sehr verringerte, da sank auch immermehr die Hoffnung zusammen und mit ihr auch – die Arbeitslust. Die bedeutenden Zinsen, diese gefräßigen Kinder des Capitals, nahmen einen großen Theil des Einkommens weg. Die Ausgaben der Familie wuchsen daneben mehr, besonders verlangte die Erziehung und Ausbildung des Sohnes nicht geringe Opfer. Auch er hatte die edle Goldschmiedekunst gelernt und war jetzt auf der Wanderschaft. Er hatte nie einen hellen Einblick in den heimlichen Ruin des Hauses gehabt; es war ihm derselbe von seinen Eltern auch immer sorgsam verheimlicht worden. So war er heiter und lustiger Dinge in die Welt hinausgegangen.

Jetzt nahte auf einmal ein entscheidender Moment. Der Hauptgläubiger war gestorben und seine Schuld auf seine Erben übergegangen, welche mit Nachdruck und ohne Rücksicht die Auszahlung der Erbschaftsschuld zur Theilung unter sich forderten. Der alte einzige Gläubiger hatte für Vorstellungen und Bitten ein offenes Herz, jetzt waren es mehrere geworden, es galt also mehrere Herzen zu erobern. Das wollte dem alten Goldschmied nicht gelingen. Durch das durch die Erbschaft herbeigeführte Gemeinschaftsverhältniß hatten die Gläubiger eine Ausrede bekommen, womit sie, ohne ihr Billigkeitsgefühl verleugnen zu müssen, den Schuldner immer auf die Andern wiesen, ohne welche sie als Einzelne nichts unternehmen könnten. Noch um zwei Mal vierundzwanzig Stunden und die Zahlungsfrist war abgelaufen – Haus und Hof, all’ die goldigen Ringlein und Zierrathen verfallen. Wer schaffte da Rath?

„Entweder muß die Hülfe vom Himmel oder von der Hölle kommen,“ sagte am Abend der Goldschmied, unruhig im Zimmer umherwandelnd.

„Vom Himmel wird sie kommen – Hab’ nur Vertrauen zu ihm, er hat brave Leute noch nie verlassen,“ antwortete die Frau.

„Vertrauen? Haben wir ihm nicht schon lang genug vertraut und er hat’s nicht besser werden lassen? Ist’s nicht immer schlimmer geworden, trotzdem daß Du alle Sonntage in die Kirche gelaufen bist?“

„Wie kannst Du so gottlos reden, Mann! Ist die Noth am größten, ist die Hülfe am nächsten.“

„Recht hat sie,“ murmelte der Goldschmied vor sich hin, „aber nicht vom Himmel. Der Teufel bietet sie an. – Frau,“ fuhr er nach einer Weile fort, indem er den Rock anzog und Hut und Stock ergriff, „ich habe noch einen Gang zu thun, einen Gang, der uns vielleicht rettet.“

„So geleite Dich der Himmel! – Aber geh’ nur auf redlichen Wegen –“

Bei diesen Worten, welche einen stillen Vorwurf zu enthalten schienen, wollte er auffahren und die Frau zurechtweisen ob solch’ verletzender Rede, aber er that es nicht, es fehlte ihm der Muth dazu, der Muth, den allein die Wahrheit und Herzenslauterkeit gibt – er hätte ja heucheln müssen. Er ging.

Es war schon ganz dunkel auf der Straße, aber doch noch reges Leben. Scheu wich er dem Strome der Gehenden auf beiden Seiten des Straßentrottoirs aus, er ging gerade in der Mitte, still vor sich niedersehend. Manchmal hielt er dann plötzlich an, warf einen Blick nach dem verlassenen Hause und schien dahin umkehren zu wollen, aber rasch eilte er nach kurzer Ueberlegung in schnelleren Schritten wieder fort. Aber es wiederholte sich dies öfter. Als er an einem Wirthshause vorbeikam, wo er Abends immer einkehrte, hielt es seinen Fuß wieder fest. Er schien zu überlegen, ob er nicht lieber dahin gehen solle, aber kurz vor der Thür kehrte er rasch entschlossen wieder um und setzte seinen Weg fort; bald war er am Erde der Stadt, da „wo die letzten Häuser stehen“, wo das Lichtreich des Gases seine Grenzen hatte. Dichte, wie bodenlose Finsterniß, Alles unheimlich still, nur das Zetergeschrei schleichender Katzen, die sich auf den niedern Dächern umherjagten. Sieh, da kommt’s heran, gerade auf den Goldschmied zu – eine tiefverhüllte Gestalt. Es bleibt stehen und flüstert ihm zu:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1858, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_367.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)